Bundeskabinett beschließt Maßnahmen zum Insektenschutz
- Ein Artikel von Kristina Oberhäuser
- mitwirkende Expert:innen Christiane Huxdorff
- Hintergrund
Das Bundeskabinett hat ein Insektenschutz-Paket beschlossen. Doch kann es das Insektensterben aufhalten?
Mit Hilfe des Aktionsprogramms Insektenschutz sollen die Lebensbedingungen für Insekten insgesamt verbessert werden. Denn nicht nur die Artenvielfalt geht zurück, sondern auch die Masse an Insekten schrumpft. Deshalb hat das Bundeskabinett Maßnahmen zum besseren Schutz von Insekten beschlossen. Von CDU und der Agrarwirtschaft gab es bis zuletzt starken Widerstand gegen das Gesetzespaket. Christiane Huxdorff, Landwirtschaftsexpertin bei Greenpeace, ordnet die Maßnahmen ein.
Was beinhaltet das ‘Aktionsprogramm Insektenschutz’ eigentlich genau?
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Insektenlebensräume und Strukturvielfalt in der Agrarlandschaft fördern
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Lebensräume für Insekten in anderen Landschaftsbereichen wiederherstellen und vernetzen
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Schutzgebiete als Lebensräume für Insekten stärken
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Anwendung von Pestiziden mindern
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Einträge von Nähr- und Schadstoffen in Böden und Gewässer reduzieren
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Lichtverschmutzung reduzieren
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Forschung vertiefen - Wissen vermehren - Lücken schließen
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Finanzierung verbessern - Anreize schaffen
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Engagement der Gesellschaft befördern
Aber warum werden jetzt Gesetze und Verordnungen diskutiert, wenn doch eigentlich schon alles klar ist?
Um das ‘Aktionsprogramm Insektenschutz’ auch in die Tat umzusetzen,müssen die Umweltministerium (BMU) und Landwirtschaftsministerium (BMEL) die Gesetze und Verordnungen anpassen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Das BMEL ist für die Pflanzenschutzanwendungsverordnung verantwortlich, das BMU für das Insektenschutzgesetz. Beide machen sich nun gegenseitig Vorwürfe: dem BMU geht die Verordnung des BMEL nicht weit genug, während dem BMEL das Gesetz des BMU zu weit geht. Ein eigenes Insektenschutzgesetz wird es jetzt nicht geben, sondern es werden Änderungen ins Bundesnaturschutzgesetz aufgenommen. Die Vorschriften zu Gewässerrandstreifen und zum Einsatz von Glyphosat werden in den Änderungen der Pflanzenschutzanwendungsverordnung geregelt. Das Bundeskabinett hat heute Maßnahmen beschlossen. Bundesrat bzw. Bundestag müssen die Änderungen nun noch vor der Sommerpause beschließen. Von CDU und der Agrarwirtschaft gab es bis zuletzt starken Widerstand gegen das Gesetzespaket.
Was muss denn jetzt wirklich passieren, um Insekten zu schützen?
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Anwendung von Pestiziden reduzieren
Es ist mittlerweile unumstritten, dass der Einsatz von Pestiziden den Insekten und der Artenvielfalt/Biodiversität zusetzt. Dafür benötigen wir einen Wandel in der konventionellen Landwirtschaft: Wir müssen weg von der Abhängigkeit von chemisch-synthetischen Pestiziden. Der gesamte Ackerbau einschließlich aller Sonderkulturen muss in eine integrierte Strategie einbezogen werden und diese muss bereits bei den EU-Geldern ansetzen. Denn EU-Subventionen dürfen nur dorthin gegeben werden, wo der Pestizid-Einsatz minimiert wurde. Damit werden Landwirt:innen belohnt, wenn sie nachweislich Insekten vor den schädigenden Wirkungen von Pestiziden schützen. Hierfür benötigen wir ein komplettes Verbot von Neonikotinoiden (ohne Notfallzulassungen), ein Glyphosat-Ausstiegsszenario bis 2021 und eine echte Reduktionsstrategie für den gesamten Einsatz von Pestiziden.
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Strukturvielfalt in Agrarlandschaften fördern
Studien belegen, dass nicht nur die Art der Bewirtschaftung für die Artenvielfalt relevant ist, sondern auch die Größe der Felder. Es gibt keinen Verbund von Biotopen mehr, und über Jahrzehnte wurden Ackerschläge immer weiter vergrößert. Dadurch haben Insekten immer weniger natürliche Rückzugsmöglichkeiten wie Brachflächen, Kleingewässer und Feld- und Wegränder. Wir brauchen aber wieder eine Vielfalt in der Fläche. Möglich wird dies durch Gewässerrandstreifen, extensiv genutzte landwirtschaftliche Flächen wie artenreiches Grünland. EU-Fördergelder müssen an konkrete gesellschaftliche Leistungen gekoppelt werden.
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Nährstoffeinträge wirksam reduzieren
Ein weiterer maßgeblicher Faktor für den Insektenrückgang ist die massive Überdüngung landwirtschaftlich genutzter Flächen. Denn hohe Nährstoffeinträge führen dazu, dass sich einzelne Pflanzen besonders stark ausbreiten, dadurch nehmen sie allerdings selteneren Pflanzen den Raum zum Wachsen. Das führt wiederum dazu, dass für die Insekten die Nahrungsvielfalt dezimiert wird. Auch bleibt das ‘zuviel’ an Dünger und Gülle nicht auf der Fläche die eigentlich behandelt werden sollte. Es kann oberflächlich abgespült werden und in angrenzenden Gewässern landen oder aber über Monate bis Jahrzehnte ins Grundwasser ausgewaschen werden.
Hierfür muss die Tierhaltung an die Fläche gebunden werden, dass derzeit geltende Düngerecht muss nachgebessert werden und in Regionen mit einem hohen Tierbestand müssen ordnungspolitische Maßnahmen erlassen werden um Nährstoffeinträge maßgeblich zu reduzieren.
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Qualitätsoffensive für Schutzgebiete initiieren
Schutzgebiete sind wichtige Rückzugsorte für Insekten. Sie dienen zur Überwinterung, Nahrungsverfügbarkeit und sichern die Fortpflanzung. Diesen Job können sie aber nur übernehmen, wenn sie vor negativen Einflüssen geschützt werden. Hierfür dürfen in Naturschutzgebieten keine Pestizide mehr ausgebracht werden, es muss weiterhin (vernetzte) Wildnis für Insekten geben und Vertragsnaturschutz muss mit EU-Fördergeldern subventioniert werden.
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Insektenvielfalt in Städten fördern
Immer mehr Menschen werden sich ihrer Pflicht bewußt, was sie auch im eigenen Rahmen für den Erhalt der Biodiversität tun können. Denn sowohl private Gärten als aus öffentliche Grünflächen beinhalten ein großes Potenzial für die insektenfreundliche Ausgestaltung.
Hierfür müssen in Städten und gemeinden jegliche Anwendungen von Pestiziden verboten werden (sowohl für gewerbliche als auch für private NutzerInnen) und es müssen mehr Informations- und Beratungsangebote zur Verfügung gestellt werden.
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Forschung und Monitoring intensivieren, Bildung verbessern
Wann immer Forscher sich mit dem Thema Insektensterben befassen kommen sie zu dem einhelligen Ergebnis, dass sowohl die Vielfalt als auch die Menge abnehmen. Um dies noch besser zu dokumentieren sind systematische Monitorings unerlässlich. Den nur so können Rückgangsursachen und Entwicklungen der bestände dokumentiert werden.
Hierfür benötigen wir unabhängige Beratung in der landwirtschaftlichen Praxis und das im Koalitionsvertrag bereits vereinbarte Monitoringzentrum zum Biodiversitätsverlust muss endlich eingerichtet werden.
Weshalb sind die Landwirte so erbost?
In der aktuellen Debatte fokussieren sich die Landwirte ausschließlich auf die Dinge, die künftig nicht mehr erlaubt sind, wie das Ausbringen von Pestiziden in Gewässernähe. Dabei lassen sie außer Acht, dass eine Intakte Natur keine Frage von Wollen, sondern von Müssen ist. Aber eine ökologisierte konventionelle Landwirtschaft muss ihren Beitrag zum Klimaschutz und zum Erhalt der Biodiversität leisten.