Gülle im Überfluss bedroht Trinkwasser und Gewässer
- Hintergrund
Einst ein wertvoller Dünger, heute eher eine Plage: Deutschlands Massentierhaltung produziert mehr Gülle, als viele Äcker vertragen.
Eigentlich verdient es mehr Respekt. Stattdessen rümpfen wir die Nase – auch das ist berechtigt, denn es stinkt. Gemeint ist das Düngen mit Mist oder – in flüssiger Form – Gülle. In den Exkrementen von Tieren steckt Stickstoff, als Nitrat oder Ammonium zusammen mit Phosphor und anderen Nährstoffen eine wertvolle Grundlage für das Wachstum von Pflanzen.
Grundsätzlich muss das Düngen mit den Exkrementen der Tiere also kein Problem darstellen. Denn sie können notwendige Nährstoffe für das Wachstum der Pflanzen liefern und die Erträge steigern, damit die Bauern genügend Lebensmittel ernten und Futter fürs Vieh einfahren können. Ein fruchtbarer Kreislauf. Nur leider funktioniert er oft nicht mehr. Es fängt schon damit an, dass in den immer größer werdenden Ställen die Tiere eher auf Spaltenböden als auf Stroh gehalten werden. Für die Bauern bedeutet es weniger Arbeit, wenn Kot und Harn über Spalten in darunterliegenden Auffangbecken landen.
Für die Tiere sind eingestreute Ställe eindeutig besser – für die Umwelt auch. Denn Stallmist ist für die Böden deutlich hochwertiger als Gülle, verbessert die Bodenstruktur und reichert Humus an.
Deutschland hat ein Gülleproblem
Seit das Prinzip der Flächenbindung aufgehoben wurde, haben sich Hotspots der industriellen Tierhaltung gebildet, auf denen massenhaft Tiere gehalten werden. Insbesondere in Nordwestdeutschland kommt viel Futter nicht nur von den eigenen Flächen der Betriebe, sondern wird importiert. Die Nähe zu den Importhäfen macht dies für die tierhaltenden Betriebe dort besonders günstig. Im Extremfall sind so gewerbliche Betriebe entstanden, die gar keine eigenen Flächen haben. Dazu kommt: Gerade für Geflügel und Mastschweine wird viel Soja eingesetzt, das aus zerstörten Wald- und Savannengebieten in Südamerika stammt. Die Tiere in den Intensivregionen produzieren viel mehr Gülle als die Pflanzen benötigen und somit sinnvoll auf die landwirtschaftlichen Flächen ausgebracht werden sollte. Statt gesunder Kreisläufe mit wertvollen Nährstoffen sind so Regionen entstanden, die riesige Nährstoffüberschüsse haben! Wohin also damit?
Die Entsorgung der überflüssigen Gülle ist teuer. Pflanzen können jedoch nur begrenzt Stickstoff aufnehmen. Das, was sie nicht über die Wurzeln aufnehmen, gelangt in die Luft oder landet im Wasser, da Nitrat sehr gut wasserlöslich ist. Und Phosphor reichert sich in den Böden immer mehr an. Bei Starkregen aber werden Nährstoffe von den Ackerflächen abgeschwemmt oder versickern in tiefere Bodenschichten. So landen die Wirkstoffe im Grundwasser oder werden in Bäche, Flüsse und dann ins Meer geschwemmt – und sorgen dort für Unheil.
Gülle kann Wässerchen trüben
Urlaubern begegnet das Übel in Form stinkender Algenteppiche oder giftiger Algenblüten im Meer oder in Seen, die in der Folge gesperrt werden können. Und wenn es ganz arg kommt, schwimmen Fische mit dem Bauch oben. Wieso das so ist? Die angeschwemmten Nährstoffe regen das Wachstum von Algen und Cyanobakterien, sogenannten Blaualgen, stark an. Abgestorbene (Blau-)Algen faulen – ein sauerstoffzehrender Prozess, der im schlimmsten Fall zu sogenannten toten Zonen im Gewässer führt, in denen mangels Sauerstoff fast nichts überleben kann.
Es braucht manchmal einige Jahre oder sogar Jahrzehnte, bis Nitrat ins Grundwasser und schließlich auch in unser Trinkwasser gelangt. Zu hohe Konzentrationen im Trinkwasser hätten gefährliche Auswirkungen auf unsere Gesundheit: Aus Nitrat gebildete Nitrosamine stehen im Verdacht, Krebs zu erzeugen; bei Säuglingen kann die unverhältnismäßige Aufnahme zu Sauerstoffmangel und damit zu Blausucht oder sogar zum Tod führen. Deshalb gilt für Trinkwasser ein Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter Wasser. In einigen Regionen wird es für die Wasserwerke immer schwerer, den Grenzwert einzuhalten: Sie müssen dafür zunehmend verschmutztes Wasser mit sauberem mischen oder aber Brunnen aus der Nutzung nehmen. Wenn das nicht mehr reicht, muss das Wasser technisch gereinigt werden. Ein extrem aufwändiges Verfahren – das laut Wasserwirtschaft zu massiven Preissteigerungen führen könnte.
Deutschland hat jahrelang gegen EU-Recht verstoßen
Auch beim Ammoniak hält Deutschland die vorgegebenen Grenzwerte nicht ein. Dieser Luftschadstoff gefährdet durch Feinstaubbildung die menschliche Gesundheit und sorgt zugleich für die Überdüngung und Versauerung von Wäldern und Gewässern. 95 Prozent des Ammoniaks in Deutschland stammt aus der Landwirtschaft. Verursacher ist vor allem die Intensivtierhaltung. Denn er entsteht insbesondere dort, wo Kot und Harn sich vermischen, also auf feuchten Stallböden, in Güllekellern und im Güllelager. Aber auch beim Ausfahren der Gülle wird Ammoniak freigesetzt. Dem kann nur teilweise mit moderner Technik wie der bodennahen Ausbringung, Filteranlagen oder Abdeckungen der Lagerstätten begegnet werden.
Die Politik hat das Problem auf Druck der Agrarindustrie, der Futtermittelwerke, der Schlachthöfe und Molkereien lange schleifen lassen. Im Vergleich zu benachbarten Ländern wurde wenig unternommen, um die Probleme in den Griff zu bekommen. Das ist auch der EU aufgefallen: Weil Deutschland mit dem laxen Düngerecht die europäische Nitratrichtlinie zum Schutz des Grundwassers nicht erfüllte, verklagte die Europäische Kommission die Bundesregierung und bekam im Juni 2018 vor dem Europäischen Gerichtshof Recht. Der Bundesrepublik – und somit den Steuerzahlenden – drohten Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Erst dadurch wurden wichtige Punkte im Düngerecht geändert. Die Zeiten, wann Gülle ausgebracht werden darf, wurden stärker beschränkt. Insbesondere in Regionen mit hohen Nitratwerten im Grundwasser wurden auch die erlaubten Ausbringungsmengen beschnitten.
Seit Februar 2017 gilt eine novellierte Düngeverordnung, die 2020, um Strafzahlungen zu verhindern, erneut überarbeitet wurde. Doch nach wie vor fehlen ausreichende Kontrollen darüber, wie viel Überschuss an Dünger landwirtschaftliche Betriebe insbesondere mit der Gülle ausbringen. Auch wenn in den vergangenen Jahren die Tierzahlen in Deutschland rückläufig sind, weil die Nachfrage insbesondere nach Schweinefleisch gesunken ist, gibt es weiterhin regional große Probleme. Perspektivisch kann daher nur eine flächengebundene Tierhaltung helfen, das heißt: Landwirtschaftliche Betriebe halten nur so viele Schweine oder Rinder, wie sie mit Futter von eigenen Flächen versorgen können – und dementsprechend den anfallenden “Wirtschaftsdünger”, also Gülle oder Mist, auch sinnvoll einsetzen können.
Transporte, Keime und Antibiotika
In den Intensivregionen Deutschlands, also dort, wo eine hohe Anzahl an Nutztieren auf nur wenig Fläche kommt, wird aber bisher ein anderer Weg eingeschlagen. Dort werden die Exkremente an “Güllebörsen” gehandelt und überregional mit LKWs, teilweise sogar mit Schiffen transportiert. Betriebe, die bereit sind, Gülle anzunehmen, bekommen dafür sogar Geld – eine kuriose Umkehr der Verhältnisse. Das Problem geht über unsinnige Transporte aber noch hinaus: Mit der Gülle reisen auch antibiotikaresistente Keime und Antibiotika durch die Republik und gelangen auf unsere Felder. Wie groß das Problem der Verbreitung von Antibiotikaresistenzen über Gülle ist, wird bisher kaum untersucht. Dass es existiert, dürfte unstrittig sein: Greenpeace hat wiederholt multiresistente Keime und Rückstände von Antibiotika in Schweinegülle nachgewiesen.
Die industrielle Tierhaltung in Deutschland belastet also nicht nur Wasser und Luft, sie trägt auch zum wachsenden Problem der Antibiotikaresistenzen bei Krankheitserregern bei. Das gefährdet unser aller Gesundheit - ob wir nun zum Billigfleisch greifen oder nicht. Greenpeace fordert daher eine bessere Haltung von weniger Tieren, um den Einsatz von Antibiotika auf das absolut notwendige Minimum zu reduzieren.
(Stand: Oktober 2023)