Golfstrom verlangsamt sich
- Ein Artikel von Michael Weiland
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Neue Daten legen nahe, dass die Erderhitzung den Golfstrom im Atlantik verlangsamt. Um 15 Prozent soll er laut einer neuen Studie schon abgenommen haben. Der Golfstrom gilt als „Klimaanlage Europas“ – was passiert, wenn die ausfällt, ist kaum absehbar.
Eigentlich sollte der Golfstrom wie ein Uhrwerk laufen: Die Meeresströmung versorgt Europa mit Wärme von der Südhalbkugel, kühlt sich vor Grönland ab, fließt zurück und beginnt die Runde erneut. Doch, um im Bild zu bleiben, die Uhr geht nach: In einer aktuellen Studie belegt ein internationales Forscherteam, dass sich die Strömung in den vergangenen hundert Jahren um 15 Prozent verlangsamt hat. Die Wissenschaftler können auch erklären, warum: Schuld ist die Erderhitzung.
Im Grunde gehorcht der Golfstrom einem einfachen physikalischen Prinzip, nämlich der Dichte: kaltes Wasser ist schwerer als warmes und sinkt in tiefere Schichten, warmes Wasser strömt nach – das ergibt die Fließbewegung, die der Motor des Golfstroms ist. Doch was passiert, wenn sich die Dichteeigenschaften des Meereswassers verändern?
Umwälzpumpe aus dem Tritt
Durch den Klimawandel geschieht genau das: Über dem Nordatlantik und den benachbarten Landmassen regnet es stärker, dadurch fließt mehr Süßwasser ins Meer. Zudem schmilzt das Eis der Arktis zusehends – ebenfalls Süßwasser. Das Salzwasser des Nordatlantiks wird dadurch buchstäblich verdünnt. Weniger salzhaltiges Wasser ist aber auch weniger dicht und damit leichter. Es sinkt nicht mehr so schnell von der Oberfläche in die Tiefe: Die gigantische Umwälzpumpe im Atlantik kommt aus dem Rhythmus.
Dass 15 Prozent Verlangsamung bei der Größe des Systems ein enormes Volumen sind, rechnet Mit-Autor Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung auf seinem Blog vor. In absoluten Zahlen bedeutete das „eine Abschwächung der Strömung um 3 Millionen Kubikmeter pro Sekunde – ein Zahl, die rund dem Fünfzehnfachen der Strömung des Amazonas entspricht und damit dem Dreifachen des Abflusses aller Flüsse der Erde zusammen.“
Die Befürchtung, der Golfstrom könnte sich verlangsamen oder sogar ganz stoppen, hegen Wissenschaftler schon lange. Das Team, das seine Ergebnisse nun im Fachmagazin Nature vorstellt, kombinierte für die Studie Messdaten zur Meeresoberflächentemperatur mit Computersimulationen. Die These: Der Klimawandel stört gegenwärtig bereits die Meeresströmungen. „Die Belege, die wir jetzt haben, sind bislang die robustesten“, sagt Mit-Autor Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Konsequenzen dieser Entwicklung beschreibt die Studie nicht. „Wir fangen erst an, die Folgen dieses beispiellosen Prozesses zu verstehen“, sagt sein Kollege Alexander Robinson von der Universität Madrid, „aber sie dürften weitreichend sein.“
Folgen für das Klima
Dafür erklärt das Modell ein Phänomen, das mit der Klimaerwärmung zusammenhängt, aber in einem Teil der Welt tatsächlich sinkende Temperaturen bedeutet: Durch die Verlangsamung des Golfstroms wird das Meer südlich von Grönland kälter, denn das weniger salzhaltige Wasser braucht dort inzwischen länger um in die Tiefe zu sinken. Andernorts steigen die Temperaturen dafür. Die Forscher konnten feststellen, dass das Wasser an der nördlichen Atlantikküste der USA bereits wärmer geworden ist, seit 1870 um bis zu 2 Grad Celsius.
Bereits heute hat das Weltklima mit den Folgen der Erderhitzung zu kämpfen: Tropische Stürme, Flutwellen und Dürren plagen oft die ärmsten Länder der Welt – Gemeinschaften mit den geringsten finanziellen Mitteln, um sich gegen die oft brutalen Auswirkungen des Klimawandels zu wappnen. Doch die nun belegten Veränderungen im Golfstrom geben auch Europa Grund zu Besorgnis. Die Meeresströmung fungiert als „Klimaanlage“ des Kontinents, ihretwegen ist unser Klima moderat: Sie mildert Temperaturspitzen, die ansonsten auftreten würden, nach unten wie nach oben ab.
Klimaschutz hängt Klimawandel hinterher
Mit dem Abschwächen des Golfstroms werden die schlimmsten Befürchtungen der Klimawissenschaftler bereits heute schon zur bitteren Realität: Der Klimawandel verläuft weitaus schneller als erwartet.
„Es gibt einen eklatanten Widerspruch zwischen der Schnelligkeit, in der der Klimawandel voranschreitet, und der Langsamkeit, mit der die Politik darauf reagiert“, sagt Karsten Smid, Greenpeace-Experte für Klima. Symptomatisch dafür ist der lähmende Streit um den deutschen Ausstieg aus der Kohleenergie. Für diese Aufgabe wurde jüngst die Kommission für den Kohleausstieg ins Leben gerufen, doch die muss nun auch liefern – nämlich einen gesellschaftlich anerkannten Ausstiegspfad im Einklang mit den Pariser Klimazielen.
Nur mit einem Klimaschutz-Sofortprogramm und mit einem sozialverträglichen Fahrplan, der den Kohleausstieg bis spätestens 2030 regelt, sind die Zusagen von Paris einzuhalten und mögliche tiefgreifende Veränderungen des Klimasystems zu verhindern. Die Zeit wird knapp, sagt Smid; Zögerlichkeit kann sich das Kabinett nicht leisten: „Was muss denn eigentlich noch alles geschehen, damit die Regierung Merkel aus ihrem klimapolitischen Tiefschlaf aufwacht?“