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Online-Redaktion: Sehr gut lautet das Urteil von Öko-Test für viele Bio-Lebensmittel bei Aldi, Plus und Co. Bewertet wurde in der aktuellen Ausgabe das Bio-Sortiment der Discounter - abgesehen von Obst, Gemüse und Fleisch. Wie beurteilst du das Testergebnis?
Alexander Hissting:
Sowohl im Discounter wie auch im regulären Supermarkt kann der Kunde in aller Regel davon ausgehen, dass die als Bio-Ware verkauften Produkte tatsächlich gesetzeskonform nach den Richtlinien des biologischen Landbaus produziert wurden. Allerdings berücksichtigen die Bio-Kriterien nicht alle Nachhaltigkeitsaspekte. Wie Ökotest auch angemerkt hat, sind die Kriterien der nationalen Bio-Anbauverbände an einigen Stellen etwas strenger als die europäische Gesetzgebung. Bei beiden spielen jedoch weder die Klimabilanz der Produkte noch soziale Aspekte eine Rolle. Das Bio-Siegel ist eine gute Hilfestellung beim Einkauf, es sollte aber nicht das eigenständige Denken ersetzen.
Online-Redaktion: Wenn ich die Wahl habe zwischen einem Bio-Apfel aus Argentinien und einem konventionellen Apfel aus der Region. Für was soll ich mich entscheiden?
Alexander Hissting: Hier gibt es kein Schwarzweiß. Äpfel aus Übersee werden mit dem Schiff nach Europa transportiert. Die Klimabilanz ist zwar schlechter als bei einem regionalen Apfel, allerdings ist sie noch einigermaßen vertretbar. Entscheidender ist, ob ich mit dem Fahrrad oder dem Auto einkaufen fahre und wie energieeffizient mein Kühlschrank zuhause ist.
Wenn man das beachtet und vorausgesetzt der argentinische Bio-Apfel schmeckt, würde ich diesen bevorzugen. Die Hoffnung wäre, den Biomarkt zu stärken, damit weitere Betriebe in Deutschland umstellen und in Zukunft genügend deutsche Bio-Äpfel auf dem Markt sind, damit keine mehr aus Übersee importiert werden müssen. Meine persönliche Realität sieht anders aus. Ich kaufe meine Bio-Äpfel auf dem Wochenmarkt, direkt von einem Erzeuger aus der Region. Hier stimmt die Beratung, die Ökologie, der Geschmack und die Klimabilanz. Sollten mal ein paar Wochen keine Äpfel verfügbar sein, kaufe ich eben anderes Bio-Obst, vorzugsweise aus Mitteleuropa. Aber solche Entscheidungen muss jeder für sich treffen. Hauptsache kein Import mit dem Flieger. Das ist der absolute Klimagau. Und bitte auch kein Dogmatismus, das verursacht Magengeschwüre.
Online-Redaktion: Neulich habe ich Kartoffeln und Möhren aus Israel gesehen. Wieso reisen Lebensmittel, die auch bei uns wachsen, um die halbe Welt?
Alexander Hissting: Kartoffeln und Möhren wachsen in Deutschland nicht das ganze Jahr. Im Winter und Frühjahr sind wir auf die gelagerte Ware angewiesen, außer wir importieren die Produkte. Wer also nicht warten kann bis es die dünnschaligen Frühkartoffeln oder die ersten zarten Möhren von heimischen Äckern gibt, kann importierte Ware kaufen. Ich übe mich lieber in Geduld, warte noch ein paar Wochen und greife dann mit besserem Gewissen auf die regionale Ware zurück. Als Landwirt habe ich gelernt, mit den Jahreszeiten zu leben.
Als Verbraucher handhabe ich es gerne genauso. Immer alles verfügbar zu haben, nimmt auch viel Lebensfreude. Nur wer ein paar Monate auf die frischen kulinarischen Genüsse der Saison gewartet hat, kann diese dann auch mit voller Freude und Intensität genießen. Durch den Bio-Boom haben wir derzeit generell ein Versorgungsproblem mit heimischem Obst und Gemüse. Da kann es ab und zu passieren, dass nur importierte Ware verfügbar ist. Das sollte aber ein zeitlich beschränktes Problem sein. Mit steigender Nachfrage wird mit etwas Verzögerung auch das Angebot an heimischer Bio-Ware wachsen.
Online-Redaktion: Was hältst du von einem Siegel für weit gereiste Produkte?
Alexander Hissting: Mehr Informationen, die mich als mündigen Konsumenten eine bewusste Kaufentscheidung treffen lassen, finde ich prima. Damit die Informationen übersichtlich und verdaulich bleiben, bin ich für eine Kennzeichnung von Produkten, die mit dem Flugzeug transportiert wurden. Mit dem Flugzeug importiertes Frischobst und -gemüse belastet das Klima bis zu 80-mal mehr als Schiffstransporte und bis zu 300-mal mehr als regionale Ware. Auch wenn es nur sehr wenige Produkte betrifft, täte die Bio-Branche gut daran, komplett auf den Flugzeugtransport zu verzichten. Nach den Bio-Richtlinien ist es zwar nicht verboten. Meiner Ansicht nach hat mit dem Flugzeug importierte Ware mit nachhaltiger und umweltschonender Produktion aber nichts zu tun.
Online-Redaktion: Eine weitere Tendenz im Bio-Geschäft ist eine zunehmende Marktkonzentration. Jüngstes Beispiel ist der Einstieg von Lidl bei der Bio-Supermarktkette Basic. Einige Anbieter wie Denree wollen Basic deshalb nicht mehr beliefern. Wie beurteilst du das?
Alexander Hissting: Die Reaktion von Denree finde ich nicht überzeugend. Denree ist der größte Bio-Großhändler in Deutschland, bei den Produzenten für sein Preisdumping gefürchtet und das schon seit vielen Jahren. Man könnte ihn auch den Lidl oder Aldi unter den Bios nennen. Denree ist nicht prinzipiell gegen Marktkonzentration im Bio-Sektor, solange er daran teilhaben kann. Mit Lidl steigt ein Schwergewicht in den Ring. Das macht Unternehmen wie Denree Sorge, zu Recht. Basic hat bereits angekündigt eine eigene Logistik für seine Läden aufzubauen, um von Großlieferanten unabhängig zu sein. Es wäre ökonomisch nur konsequent, mit dieser Logistik dann auch andere Bio-Läden zu beliefern. Damit stünde man in direkter Konkurrenz zu Denree und anderen Großhändlern.
Aus Sicht von Lidl und Basic ist die Kooperation nachvollziehbar. Der eine (Basic) braucht Geld, um zu expandieren, der andere möchte sein Image aufpolieren und in einem wachsenden Marktsegmet Fuß fassen (Lidl). Wenn das vielen Verbrauchern nicht passt, können sie es die beiden unmissverständlich durch ihr Kaufverhalten spüren lassen. Schaut man sich die wachsenden Biosegmente bei den Supermärkten und den Discountern an, rechne ich allerdings nicht mit einem spürbaren Verbraucherboykott bei Basic.
Wer mächtige Handelsstrukturen umgehen möchte, die meist nicht nur die naturverträgliche und sozial verantwortliche Produktion im Auge haben, sollte möglichst regional einkaufen, am besten direkt vom Erzeuger auf Wochenmärkten und in Hofläden.
Online-Redaktion: Danke für das Interview, Alexander!