Interview mit dem Greenpeace-Experten Manfred Krautter
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Greenpeace-Online: Gammelfleisch, Pestizide in Obst und Gemüse - Greenpeace macht seit mehreren Jahren auf eine mangelhafte Lebensmittelüberwachung aufmerksam. Was läuft konkret schief?
Manfred Krautter: Ein Problem bei der Lebensmittelüberwachung ist, dass es schlicht zu wenige Kontrollen gibt. Die Gefahr für einen Lebensmittelfrevler erwischt zu werden, ist gering. Doch selbst, wenn die Behörden auf Missstände stoßen, werden nur selten Strafen verhängt und Geldbußen sind meist so niedrig, dass die Firmen sie aus der Portokasse bezahlen.
Das haben auch unsere Untersuchungen zu Kontrollen von Pestizidbelastungen immer wieder gezeigt. Selbst wenn Supermärkte wiederholt zu stark pestizidbelastete Ware verkaufen, wird bisher von den Behörden selten ein Verfahren eingeleitet. Durch diesen laxen Umgang werden Lebensmittelskandale geradezu herangezüchtet. Außerdem ist die Lebensmittelüberwachung Ländersache, sie wird nicht zentral gesteuert und oft erfährt ein Bundesland nicht einmal, wenn es im Nachbarland Probleme gibt.
Greenpeace-Online: Horst Seehofer schiebt alle Verantwortung auf die Länder. Ist der Verbraucherminister nicht verantwortlich? Was ist aus seinem 10-Punkte-Plan vom November 2005 geworden?
Manfred Krautter: Lebensmittelüberwachung ist tatsächlich weitgehend Ländersache. Doch Horst Seehofer legt regelmäßig gemeinsam mit seine Länderkollegen Arbeitsschwerpunkte und Maßnahmenpaket fest und ist mit in der Verantwortung. Nach dem letzten Gammelfleischskandal im November 2005 hat Horst Seehofer noch versprochen, dass jedes Kühlhaus überprüft werde. Tatsächlich enthält der 10-Punkte-Plan hauptsächlich Selbstverpflichtungen für die Fleischindustrie. Eine bessere personelle und technische Ausstattung der Kontrollbehörden ist nicht vorgesehen.
Dass es so nicht funktioniert, sehen wir jetzt. Immer öfter haben wir es mit Kriminellen zu tun, die skrupellos mit gesundheitsgefährdendem Pestizidobst, Lebensmittelabfällen und verdorbener Ware Geld machen. Ein einfacher Lebensmittelkontrolleur ist da überfordert. Wir brauchen dringend Schwerpunktstaatsanwaltschaften und spezialisierte Polizeieinheiten, um diesen Leuten das Handwerk zu legen.
Greenpeace-Online: Am 22. September stimmt der Bundesrat über das Verbraucherinformationsgesetz (VIG) ab. Werden die Verbraucher mit diesem Gesetz rechtzeitig über Lebensmittelskandale informiert?
Manfred Krautter: Das geplante Verbraucherinformationsgesetz ist eine Mogelpackung. Entgegen der Ankündigungen von Herrn Seehofer werden wir auch in Zukunft die Namen der Firmen, die gegen das Lebensmittelgesetz verstoßen haben meist nicht erfahren.
Die Behörden können so gut wie jede Auskunft verweigern, wenn ein betroffenes Unternehmen auf ein Geschäftsgeheimnis verweist oder auf ein laufendes Ermittlungsverfahren. Die Fristen für die Herausgabe von Informationen liegen bei bis zu drei Monaten. Dann ist die gesundheitsgefährdende Ware längst verkauft und verzehrt. Ein Verbraucherinformationsgesetz, das seinen Namen verdient, müsste alle festgestellten Verstöße gegen das Lebensmittelrecht unverzüglich öffentlich machen - unter Nennung der betroffenen Produzenten und Vermarkter! In England oder Dänemark ist das schon seit Jahren sebstverständlich.
Greenpeace-Online: Was könnten Verbraucher mit diesen Informationen anfangen?
Manfred Krautter: Wenn die Verbraucher erfahren, wer schlechte Ware verkauft, können sie selbst entscheiden, welcher Händler ihr vertrauen verdient und wer nicht. Greenpeace testete letzten November Pestide in Obst und Gemüse der großen Supermarktketten und veröffentlichte das Ergebnis. Die Konzerne mit der höchsten Beanstandungsquote bekamen das deutlich zu spüren, die Kunden gingen bei der Konkurrenz einkaufen. Die Öffentlichkeit müsste solche Informationen von den staatlichen Lebensmittelüberwachung bekommen und nicht nur von Greenpeace.
Greenpeace-Online:: Welche Maßnahmen sind konkret nötig, damit Lebensmittel in Deutschland sicherer werden?
Manfred Krautter: Das Wichtigste ist jetzt, dass diejenigen Firmen genannt werden, die Gammelfleisch in Umlauf gebracht haben. Aber auch diejenigen Firmen, die beliefert wurden, müssen öffentlich gemacht werden. Dasselbe gilt bei Funden von illegalen Pestiziden in Obst und Gemüse oder bei der Überschreitung von Höchstmengen: Sowohl der Produzent wie der Lebensmittelhandel stehen in der Verantwortung. Verbraucher haben ein Recht zu erfahren, was sie essen. Dafür muss der Bundesrat den bestehenden Entwurf des Verbraucherinformationsgesetzes unbedingt nachbessern. Zusammen mit flächendeckenden Kontrollen und Sanktionen könnte das VIG dann dafür sorgen, dass zumindest die größten Missstände wirksam eingedämmt werden!