Mitten in der Klimakrise
- Ein Artikel von Nina Noelle
- Recherche
Dürre, Hitze und Brände: Die Klimakrise ist längst in der Mitte Europas angekommen und hinterlässt ihre Spuren. Greenpeace-Aktivist:innen bereisten in der letzten Juliwoche Norditalien und Österreich und dokumentierten die Auswirkungen der Klimakrise. Ein Erfahrungsbericht.
Um 5 Uhr morgens geht es am 21. Juli los – zu dritt erstmal mit dem Zug von Hamburg nach München und von hier weiter mit dem Mietwagen bis Mailand. Bei der Ankunft in München ist es überraschend kalt und regnerisch für eine Hitzewelle, aber die soll uns ja auch erst in Italien erwarten.
Von Mailand aus fahren wir nach Piacenza. Beim Überqueren der Brücke über den Po in die Stadt fällt direkt auf: Ein Teil des Flusses führt überhaupt kein Wasser mehr. Nach wenigen Worten mit zwei älteren Herren aus Piacenza und einem recht langen Umweg finden wir einen Weg unter die Brücke, über die wir eben noch gefahren waren. Ein kleiner Erfolg - und große Ernüchterung, als wir dort mitten im Flussbett stehen.
Sand unter den Füßen, hier und da ein paar Muscheln und Wasserpflanzen – die, nun so ganz ohne Wasser, seltsam deplatziert wirken. An der Brücke lässt sich noch der ehemalige Wasserstand erahnen, gut einen Meter über meinem Kopf.
Rekordtrockenheit in Italien
Italien erlebt momentan eine extreme Trockenheit, die es in der Po-Region so noch nie gegeben hat. Messungen zeigen den niedrigsten Wasserstand seit Beginn der Aufzeichnungen vor 70 Jahren. An der Messstation Pontelagoscuro nahe Ferrara führte der Fluss lediglich ein Zehntel der Wassermenge, die er durchschnittlich zu dieser Jahreszeit führt: Nur 180 Kubikmeter Wasser flossen hier pro Sekunde durch das Flussbett.
Es ist kaum zu glauben, so viel Wasser einfach weg, nicht mehr da. Nicht nur in Piacenza, sondern auch in Boretto, unserem nächsten Ziel, etwa eine Stunde flussabwärts. Hier liegt ein entwurzelter Baumstamm, altes Treibgut, in gut drei Metern Höhe auf dem Brückenpfeiler. Er wirkt wie ein Mahnmal für die Wassermassen, die hier einst flossen. Jetzt ist der Boden vertrocknet und aufgeplatzt, das bisschen Wasser, das am Rande noch fließt, eher ein Rinnsal als ein Fluss. Die Messstation hier zeigt deutlich, dass der Fluss mit drei Metern unter dem Nullpegel drastisch unter dem saisonalen Durchschnitt liegt.
Bei Stellata finden wir wohl eines der eindrücklichsten Bilder vor – ein ganzer Bootsanleger liegt hier auf dem Trockenen. Wir sprechen mit zwei Fischern und Anleger:innen, früher seien hier Touristen wie Ortsansässige mit Jetskis und Kanus gefahren; in diesem Sommer sieht man lediglich zwei einsame Mountainbiker. Die extreme Austrocknung des Pos liegt an einer Vielzahl von Ursachen: erst ein schneearmer Winter, dann ein trockener Frühling, nun Hitzewellen im Sommer. Bereits in den Wintermonaten kündigte sich eine schwächere Schneeschmelze an: In der betroffenen Alpenregion fiel diese Saison 70 Prozent weniger Schnee. Seit Monaten sei hier, wie auch in anderen Gebieten, kein Tropfen Regen gefallen, wie uns einer der Fischer berichtet. Bereits das dritte Jahr in Folge hat es in Italien weniger geregnet und geschneit als es für das Land normal ist.
Verlorene Maisernte
Wir fahren weiter, vorbei an Feldern und Dörfern. Was wir sehen, ist traurig und schockierend: Die nicht enden wollenden Maisfelder am Straßenrand sind völlig vertrocknet. Statt sattem Grün nichts als bräunliches Gelb. Auch hier platzt der Boden auf, die Dürre unübersehbar und die Hitze unerträglich. Heute zeigt das Thermometer mehr als 40 Grad. Bereits am Abend zuvor hatte sich mein Kreislauf gemeinsam mit meinem Appetit und meiner Konzentration verabschiedet. Und auch heute halte ich es kaum länger als ein paar Minuten in der Sonne aus. Dann geht nichts mehr. Ich muss mich kurz in den Schatten neben das Auto legen. Am Tag zuvor war bereits mein Handy überhitzt, nun bin ich an der Reihe. Meine unglückliche Situation bleibt nicht unbeachtet und bald liege ich unter einem Baum auf einer Decke im Schatten mit Kühlpacks und einem Eistee – Farmer Paolo Negri, dem die Maisfelder gehören, und seine Frau helfen uns gerne. Er erzählt uns, dass er seine gesamte Ernte verloren habe, rund 20.000 Euro Schaden. In 50 Jahren sei so etwas noch nie passiert, zuletzt habe es richtig im November geregnet, berichtet er sichtlich mitgenommen und zeigt meinen Kollegen die völlig unterentwickelten Maiskolben.
Die gesamte Landwirtschaft in Italien leidet unter der extremen Dürre, die Schäden liegen in Milliardenhöhe. Denn im Normalfall wird das Wasser des Pos für fast ein Drittel der landwirtschaftlichen Produktion Italiens benötigt. Auch die Reisernte ist in diesem Jahr stark betroffen, hier wurden fast 30 Prozent der Gesamternte vernichtet.
Mittlerweile sind wir in Bibione angekommen. Hier hatte es vor etwa einer Woche noch gebrannt. Überreste von Verbotstafeln der italienischen Behörden säumen den Weg: Betreten verboten, Feuerwehreinsatz im Gange. Als wir in das betroffene Waldgebiet gelangen, schlägt uns ein Geruch entgegen, der mich unwillkürlich an einen Holzkohlegrill denken lässt. Die Pinien zeigen deutliche Spuren des Feuers, sind aber zumindest teilweise stehen geblieben. Dafür ist der Boden bedeckt von einer dicken, weichen Schicht gräulicher Asche. Von Weitem hat es etwas von einer verschneiten Winterlandschaft – von Nahem eher von Apokalypse.
Mit jedem Schritt wirbeln wir Asche auf, trotz der Masken, die wir tragen, habe ich das Gefühl kaum atmen zu können. Der Brand hier hat kilometerweit Wald und Ökosystem zerstört, tausende Wildtiere starben in den Flammen. Es werden noch über 100 Jahre vergehen müssen, bis eine ähnliche Waldvegetation und vergleichbare Waldstrukturen erneut entstehen. Insgesamt brannten in diesem Jahr bereits 27.000 Hektar Land in Italien ab. Und der Sommer ist noch nicht vorbei: Immer mehr italienische Städte rufen die Warnstufe Rot aus. In 16 Städten galt bereits die höchste Hitzewarnstufe inklusive Florenz und Mailand, weitere sollen folgen.
Der Gletscher schmilzt – und die Leute fahren Ski
Von der vermeintlichen Winterlandschaft geht es auf dem Rückweg in die echte, oder vielmehr das, was davon noch übrig ist. Denn der Hintertuxer Gletscher in Österreich ist in einem desolaten Zustand. Auch hier, 2000 Meter über dem Meeresspiegel, brennt die Sonne unerbittlich. Zwischen weißen Planen, die den verbliebenen Schnee vorm Schmelzen bewahren sollen, fahren einige Ski. Überall sind kleinere und größere Rinnsale an Wasser zu sehen: Der Gletscher schmilzt.
Es ist mir unerklärlich, warum hier überhaupt noch Ski gefahren wird. Zumal es keine Freude machen kann auf dem rauen, grauen Eis zu fahren. Schnee liegt hier nämlich eigentlich nur noch unter den Planen, eine ehemalige Station, lange geschlossen, ist der einzige Farbklecks. Und das ist auch traurigerweise nichts Neues – ein Video des Gletschers, das jüngst in den sozialen Medien viral gegangen war, zeigt Skifahrende, die hier durch grauschwarze Wasserpfützen pflügen. Aber es ist offenbar bereits einige Jahre alt. Die Situation hat sich seitdem nur verschlimmert. Der ehemalige Bergführer Matthias Knaus berichtet, dass man einen erheblichen Unterschied in der Schneeauflage zu vor 15 Jahren sehe. Heute sei fast das gesamte Becken schneefrei, sodass Gletschereis und -spalten zu Tage treten.
Wer denkt, dass wir Zeit haben, irrt. Wir erleben bereits jetzt, was in Zukunft nur noch schlimmer wird. Überall in Europa und in der Welt stehen die Zeichen auf Rot – wenn wir jetzt nicht endlich anfangen, tatsächlich etwas zu verändern, ist es zu spät. Questa è la crisi climatica – die Klimakrise ist hier.