Make Klimaschutz Great Again: Interview zur Amtseinführung von Joe Biden
- Ein Artikel von Ortrun Sadik
- mitwirkende Expert:innen Martin Kaiser
- Im Gespräch
Joe Biden ist fast im Amt. Kommt nun die Wende im Klimaschutz? Hält der neue US-Präsident, was er verspricht? Interview mit Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace.
Endlich Amtswechsel! Der neue Präsident der USA heißt jetzt Joe Biden, Donald Trump ist Geschichte. Damit wird das Land, das jährlich nach China die zweitgrößte Menge an Treibhausgasen in die Luft bläst, jetzt wieder von einem Mann regiert, der sich Vernunft auf die Fahnen geschrieben hat.
Kommt jetzt die Wende beim internationalen Klimaschutz? Kann Biden halten, was er im Wahlkampf versprochen hat? Und: Wenn die USA die Pariser Klimaziele einhalten wollen – was muss dann geschehen? Fragen an Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace.
Greenpeace: Bald ist es so weit! Ab heute, 12 Uhr Ortszeit heißt der neue Präsident der USA Joe Biden. Was versprichst du dir für den internationalen Klimaschutz?
Martin Kaiser: Die nächste Zeit wird zeigen, auf welcher Seite Joe Biden steht. Ob ihm Klimaschutz ernsthaft ein Anliegen ist, oder ob auch ihn die Erdöllobby an der Kette hält. Im Wahlkampf hat er viel versprochen. Ich hoffe, er hält es. Und er hat jetzt bereits wichtige und im Klimaschutz erfahrene Personen in seinem Kabinett und im Weißen Haus besetzt - das macht Hoffnung.
Ein Versprechen war ja, am ersten Tag im Amt dem internationalen Klimaabkommen von Paris wieder beizutreten. Das will er am ersten Tag als Präsident unterschreiben. Was hat Joe Biden denn sonst noch versprochen?
Er hat angekündigt, ebenfalls am ersten Tag im Amt sofort die Genehmigung für die umstrittene Pipeline Keystone XL zurückzunehmen. Das wäre ein starkes Zeichen, dass ihm Klimaschutz ernst ist. Die Pipeline, eines der Lieblingsprojekte der Ölindustrie, unterstützt von Bidens Vorgänger-Präsidenten Donald Trump, sollte rund 500.000 Barrel Öl am Tag aus Teersandvorkommen im kanadischen Alberta zu Raffinerien im US-Bundesstaat Texas befördern – für Umwelt und Klima ein Desaster. Indigene Gemeinschaften, Umweltschützer und auch Greenpeace haben immer wieder gegen die Pipeline protestiert. Diese Pipeline zu stoppen ist mehr als ein Symbol, es ist eine Richtungsentscheidung.
Außerdem hat Biden ein umfangreiches Klimaschutzprogramm angekündigt, und erklärt, dass die USA bis zum Jahr 2050 treibhausgasneutral sein sollen. Das heißt, dass sie unterm Strich 2050 keine Klimagase mehr ausstoßen. Dafür will er zwei Billionen Dollar investieren und hat auch schon einen recht detaillierten Plan vorgestellt, wie er die amerikanische Wirtschaft klimagerecht umbauen will. Es soll massiv in die Forschung und Entwicklung sauberer Energien und klimagerechter Infrastruktur investiert werden. Der Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe im Stromsektor soll bis 2035 passiert sein, also schneller als derzeit in Deutschland geplant. Vier Millionen Häuser sollen energetisch saniert und 1,5 Millionen energieeffiziente Sozialwohnungen gebaut werden. Öffentlicher Nah- und Fernverkehr soll emissionsfrei werden, die staatliche Autoflotte auf E-Autos umgerüstet werden, und und und…
Das sind ja Hoffnung machende Ankündigungen. Auf der anderen Seite hat Joe Biden Menschen wie den ehemaligen DuPont-Berater Michael McCabe in sein Umweltteam geholt, der dem Chemiekonzern jahrelang bei seiner Kampagne für giftige Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe geholfen hat. Wie ernst meinst du sind ihm Umwelt- und Klimaschutz wirklich?
Ich glaube, dass Joe Biden Umwelt- und Klimaschutz wirklich so wichtig sind, wie er es im Wahlkampf gesagt hat. Denn ich halte ihn für einen sehr rationalen, wissenschaftsorientierten Menschen. Er weiß, welche Bedrohung die Klimakrise für die Welt und für sein Land darstellt – man denke nur an die verheerenden Waldbrände in Kalifornien 2020 –, was dagegen getan werden muss und dass die Wirtschaft Amerikas vom Klimaschutzprogramm massiv profitieren würde.
Er weiß auch, dass er mit den Stimmen der jungen Klimaschutz-Generation gewählt wurde, und ich hoffe, dass er sich seinem Wahlversprechen, das Ruder beim Klimaschutz herumzureissen, wirklich verpflichtet fühlt.
Ich bin jedenfalls sehr froh, dass die Senatswahlen in Georgia die de facto Mehrheit für die Demokraten im Senat gebracht haben. So kann Joe Biden erst mal mindestens zwei Jahre regieren und seine Vorstellung auch durchbringen.
Auf dem Weg zum 1,5 Grad-Ziel – wo stehen die USA? Wie ambitioniert beziehungsweise wie realistisch ist Bidens Ankündigung, dass die USA bis 2050 klimaneutral sind?
Obama hatte 2015 in Paris angekündigt, dass die USA ihren Ausstoß an Treibhausgasen bis 2025 um 26 bis 28 Prozent reduziert werden, gemessen am Ausstoß von 2005. Tatsächlich werden sie wohl 20 bis 21 Prozent erreichen. Da ist das Land also überhaupt nicht dort, wo es sein sollte. Biden muss nicht nur bei Kohle und Öl, sondern auch beim Fracking-Gas auf die Bremse treten, das Obama noch massiv förderte. Er muss nichts Geringeres als die Wende der USA hin zu Erneuerbaren Energien schaffen. Und dabei darf er nicht auf falsche Lösungen setzen wie Atomkraft oder Kohlendioxidverpressung. Ob er das wirklich will, muss er erst noch beweisen.
Ich glaube, mit den angekündigten Maßnahmen können die USA die Klimaneutralität bis 2050 schon erreichen, wenn sie jetzt einen echten Sprint starten. Das wird allerdings – übrigens genauso wie in Deutschland und Europa – nicht ausreichen, um die globale Erwärmung unter 1,5 Grad zu stabilisieren. Aber viel entscheidender als dieses ferne Ziel ist eigentlich, wie schnell jetzt wirklich die Emissionen in den nächsten Monaten und Jahren sinken. Denn nur schnell sinkende Treibhausgase können die Welt vor dem Klimakollaps bewahren.
Wird der internationale Klimaschutz eine neue Dynamik entfalten können?
Mit Joe Biden und seinem sehr erfahrenen Klimabeauftragten John Kerry, der 2015 als damaliger US Außenminister das Pariser Klimaabkommen mit zum Erfolg führte, kann und muss die Klimadiplomatie neue Fahrt aufnehmen. Gemeinsam mit Europa und einer neuen Klimapartnerschaft mit China und Indien kann es im November in Glasgow einen neuen, so dringend notwendigen Impuls für den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen Kohle, Öl und Gas geben.
Wichtig wird dabei auch sein, wer dann in Deutschland regiert und wie. Denn unabhängig von den USA können und müssen ja auch die EU und Deutschland ihren Weg zum Klimaziel gehen. Dazu müssen sie den angekündigten Green Deal endlich ernst nehmen und die notwendige Transformation der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens mit einer sozialen und am Gemeinwohl orientierten Agenda verknüpfen und so zu einem Erfolgsmodell machen. Ich bin optimistisch: Ich glaube, 2021 kann ein spannendes und Hoffnung gebendes Jahr für den Klimaschutz werden.