Wie wirkt sich die Gletscherschmelze weltweit aus?
- Hintergrund
Weltweit nimmt die Geschwindigkeit der Gletscherschmelze zu. Doch was sind die Ursachen und Folgen? Was sind die Auswirkungen in unterschiedlichen Teilen der Welt? Welchen Einfluss haben sie auf globaler Ebene? Wie beeinflussen sie das Leben der Menschen? Eine Übersicht, die diese Fragen beantwortet.
Kommt es zu einer Gletscherschmelze, fließt das in den Gletschern gebundene Wasser ins Meer und geht als Trinkwasser verloren. Die Folgen sind: Absenkung der Wasserspiegel, akuter Wassermangel, Austrocknen der Flussbetten und daraus folgende Dürrekatastrophen.
Das Überschreiten von Kipppunkten ist eine weitere Gefahr der schneller werdenden Gletscherschmelze. Verlieren Gletscher zu viel ihrer Masse, ist ein vollständiges Abtauen nicht mehr zu verhindern. Das führt zu einem Anstieg der weltweiten Meeresspiegel und einer Erhöhung der globalen Temperatur. Ab diesem Punkt ist der Verlust der Gletscher unumkehrbar.
Mit einem gigantischen roten Pflaster machten die Klimaseniorinnen und Greenpeace Schweiz im September 2022 daher zwischen den beiden Alpengletschern Scex Rouge und Tsanfleuron auf die zunehmende Abtaugeschwindigkeit der Gletscher aufmerksam. Greenpeace Österreich wiederum deckte im September 2023 auf, dass in Sölden für das Ski-Weltcup-Opening die ohnehin leidenden Gletscher zusätzlich geschädigt wurden.
Europa: Wann werden die Alpengletscher verschwunden sein?
Der spektakuläre, weltweite Rückzug der Gebirgsgletscher gehört zu den sichtbarsten Zeichen, dass sich das Klima der Erde mit Beginn der Industrialisierung markant verändert hat. Gebirgsgletscher gelten als Schlüsselindikatoren für Klimaänderungen, sozusagen als eine Art globales Fieberthermometer. Greenpeace unterstützt von Beginn an, seit dem Jahr 2000, die Fotodokumentation der Gesellschaft für ökologische Forschung. Im Laufe der Zeit ist eine einzigartige Bilddokumentation der Alpengletscher entstanden. Seit Beginn der Industrialisierung um 1850 haben diese mehr als die Hälfte ihrer Fläche und ein Drittel ihres Eisvolumens verloren. Bereits seit den 90er Jahren nimmt die Geschwindigkeit der Gletscherschmelze zu. In den Alpen gibt es etwa 5.000 Gletscher, acht von ihnen umfassen größere Gebiete, sie schrumpfen alle. Wie schnell Gletscher verloren gehen können, zeigte sich im Hitzesommer 2022 am Beispiel des südlichen Schneeferner in den bayrischen Alpen. Die hohen Temperaturen in diesem Jahr führten zu einem derart massiven Eisverlust, dass ihm sein Gletscherstatus aberkannt wurde.
Im Jahr 2021 rechneten Gletscherforscher:innen mit einem fast vollständigen Abschmelzen bis zum Ende des 21. Jahrhunderts. Allerdings überraschte die zunehmende Schmelzgeschwindigkeit im Hitzesommer 2022 selbst Klimaforscher:innen. Bereits der Winter fiel besonders mild aus, was zu wenig Schnee in den inneralpinen Regionen führte. Die schneearme Lage setzte sich im Frühjahr fort, woraufhin extreme Hitzewellen folgten.
In den Sommermonaten gibt es normalerweise Kaltlufteinbrüche, mit etwas Neuschnee in größeren Höhenlagen. Der Neuschnee würde die dunkleren Eisflächen mit dem teils darauf lagernden Staub oder Geröll überdecken. Der weiße Schnee führt dann dazu, dass ein Großteil des einfallenden Sonnenlichtes zurückgestrahlt wird (Albedo-Effekt). Aufgrund der hohen Temperaturen trat der Albedo-Effekt nicht ein und es entstand keine Neuschneedecke. Da sie fehlte, nahm das blanke Eis der Gletscher die einfallende Sonnenenergie auf und erwärmte sich zusätzlich. Ein Teufelskreis, der durch die frühen und im Jahr 2022 intensiven Hitzewellen noch einmal verstärkt wurde. Am Corvatsch-Gletscher führte die Entwicklung dazu, dass es Wissenschaftler:innen nicht mehr möglich war, ihre Messungen fortzusetzen – es war einfach nicht mehr genug Eis vorhanden.
„Der diesjährige Hitzesommer hat zu einem dramatischen Aderlass und Flächenverlust der Alpengletscher geführt“, sagt Greenpeace Klimaexperte Karsten Smid. An jedem sonnigen und heißen Tag verlieren die Alpengletscher ohne schützende Schneedecke etwa zehn Zentimeter Eis. Die Gletscher schmelzen dann wie Speiseeis.“
Große europäische Flüsse wie Rhône und Rhein entspringen in Gletschergebieten. Das Süßwasser aus der Gletscherschmelze ist das wichtigste Trinkwasserreservoir in den alpinen Regionen. Die Zerstörung dieser natürlichen Wasserspeicher kann zu Wasserknappheit und Trockenperioden führen.
In Europa sind nicht nur die Alpen betroffen. Ein Bericht des Online-Fachmagazins „Phys.org“ aus dem Jahr 2021 zeigt, dass die Gesamtfläche der isländischen Gletscher seit 1890 um 18 Prozent und seit der Jahrtausendwende um 7 Prozent abgenommen hat. Die Gletscher Islands schmilzen immer schneller und bei dem derzeitigen Tempo könnten sie bis zum Jahr 2200 vollständig abgetaut sein.
Asien: Wie wirkt sich die Gletscherschmelze auf den Himalaya aus?
Studien zeigen, dass die Gletscher im Himalaya im Laufe der letzten 400 bis 700 Jahre etwa ein Drittel ihrer Fläche verloren haben, den Großteil davon seit den 80er Jahren. Bereits in der Vergangenheit führte die Gletscherschmelze in der Region zu teils fatalen Gletschereinbrüchen. Am 07. Februar 2021 kostete erneut ein Gletscherabbruch 49 Menschen das Leben.
Mit dem Absickern des Schmelzwassers steigt der Wasserpegel der Gletscherseen an, durch den entstehenden Wasserdruck können die Ränder der Seen wegbrechen. Die dadurch in Bewegung geratenen Millionen Kubikmeter Wasser sind in der Lage, Täler zu überfluten und Dörfer zu zerstören. Wenn Infrastruktureinrichtungen wie Wasserkraftwerke und Wasserleitungen betroffen sind, kann das auch Folgen für Gebiete haben, die den Fluten nicht ausgesetzt sind.
Afrika: Was sind die Folgen der Gletscherschmelze für den Kilimandscharo?
Der Kilimandscharo, der „Schimmernde Berg“, liegt in Tansania, rund 350 Kilometer südlich des Äquators. Mit seinen 5.895 Metern ist er der höchste Berg Afrikas. Seit Beginn der Aufzeichnungen 1912 schwanden mehr als 80 Prozent seiner Schnee- und Eismasse, 45 Prozent davon im Zeitraum von 1989 bis 2007. Aufgrund des zunehmenden Tempos der Gletscherschmelze gehen Prognosen davon aus, dass es im Jahr 2040 keinen Schnee und kein Eis mehr auf dem Kilimandscharo geben wird.
Auf regionaler Ebene gefährdet das Abtauen des Kilimandscharo die Biodiversität. Tiere und Pflanzen, die unterhalb des Berges leben, sind auf das in ihm gespeicherte Wasser angewiesen. Auch für die Menschen in der Region ist der Berg eine wichtige Süßwasserquelle.
Südamerika: Wie schnell schmilzt das Eis in Patagonien?
Die Gletscher Patagoniens in Chile und Argentinien erstrecken sich über eine Fläche von insgesamt 17.200 Quadratkilometern und sind die am schnellsten tauenden Eismassen der Erde. Eine Studie der Fachzeitschrift “Science” hat gezeigt, dass sich die Schmelzgeschwindigkeit in den Jahren von 1995 bis 2000 verdoppelt hat. Im Jahr 2003 lag der Verlust bei 42 Kubikkilometer pro Jahr – das entspricht in etwa der Wassermenge des Bodensees. Das Schmelzwasser der patagonischen Gletscher fließt auf der westlichen Seite ins Meer und im Osten in verschiedene Seen, dadurch erhöht sich der weltweite Meeresspiegel.
Wenn Gletscher abtauen, brechen die Wände der nahen Gletscherseen ein und es kommt zu Überflutungen. Im Jahr 2013 stürzte beispielsweise ein Gletschersee am chilenischen Gletscher Ventisquero im Bernardo O’Higgings Nationalpark ein. Die Katastrophe hatte keine Opfer zur Folge, jedoch sind auch bewohnte Regionen durch mögliche Einstürze bedroht. Ein Beispiel dafür ist die Stadt Huraraz: Sie liegt 55 Kilometer unterhalb des Pastoruri-Gletschers, 20 Meter unter einem nahen Gletschersee und hat etwa 100.000 Einwohner:innen. Sollte der See einstürzen, hätte das für die Bewohner:innen und die Stadt katastrophale Folgen.
Nordamerika: Wie verändert die Gletscherschmelze die Landschaft Kanadas?
Auf der kanadischen Baffin-Insel kommen durch die Gletscherschmelze Landschaften zum Vorschein, die seit 40.000 Jahren unter Eis lagen. Die Insel liegt westlich von Grönland und erlebt ihre wärmste Periode seit 115.000 Jahren. Es handelt sich um die fünftgrößte Insel der Welt, sie ist gezeichnet von tiefen Fjorden, vereisten Hochebenen und zahlreichen Gletschern.
Aufgrund des Verlustes zahlreicher Gletscher war es Wissenschaftler:innen möglich, 48 Pflanzenarten zu bestimmen, die durch die bisherige Eisschicht seit 40.000 Jahren konserviert wurden. Was zunächst positiv klingt, hat eine Kehrseite – denn wo Eis für dunklen Untergrund weicht, entstehen sogenannte Rückkopplungseffekte: Das Eis reflektiert die Sonne nicht mehr, die Temperatur steigt umso stärker an.
Durch die Gletscherschmelze werden in manchen Regionen bisher ungenutzte Flächen frei – der Verlust an nutzbaren Gebieten durch die Klimaveränderungen übersteigt diese jedoch deutlich: Zunehmende Dürren, Überschwemmungen, Waldbrände und steigende Temperaturen führen zur Unbewohnbarkeit ganzer Regionen. Die Rückkopplungseffekte sind nicht die einzige Gefahr, die mit der Gletscherschmelze einhergeht. Ein Team von Forscher:innen hat im Jahr 2021 bisher unbekannte Viren im Eis eines Gletschers entdeckt. Die Wissenschaftler:innen wissen nicht genau, wie viele unbekannte Viren weltweit im Eis verborgen liegen oder ob sie für die Menschheit eine Gefahr darstellen – die Wahrscheinlichkeit dafür ist allerdings hoch.
Arktis und Antarktis: Welche Auswirkungen hat die Gletscherschmelze auf die größten Eismassen der Erde?
In den arktischen Regionen Grönlands finden sich einige der größten Gletscher der Erde – auch sie sind von der Klimakrise betroffen: Forschende haben im Jahr 2021 festgestellt, dass das grönländische Eisschild von Rückkopplungseffekten betroffen ist, wodurch das Eis immer schneller schmilzt. Es gibt einen so genannten Kipppunkt: Wird der überschritten, schmilzt das grönländische Eisschild nach aktuellen Schätzungen bis zum Jahr 3000 vollständig ab. Die Folgen wären ein Anstieg des Meeresspiegels um mehr als sieben Meter und der Zusammenbruch des Golfstroms. Er ist Teil des globalen Strömungssystems des Atlantiks und sorgt für relativ hohe Temperaturen in Europa und Nordamerika.
Auch in der Antarktis ist der bestehende Eisschild in Gefahr: Forscher:innen haben im Jahr 2021 herausgefunden, dass das dortige Schelfeis seit 1997 um zwei Prozent zurückgegangen ist. Das entspricht einer Fläche in der Größe Baden-Württembergs. Bei Schelfeis handelt es sich um große Eisplatten, die auf dem Meer schwimmen und sich von den Gletschern gelöst oder auf dem Wasser gebildet haben. Die Forschenden prognostizieren, dass der Meeresspiegel bis zum Jahr 2300 um fünf Meter steigen wird, wenn das in Paris vereinbarte 1,5 Grad Ziel nicht eingehalten wird.