Mehr als die Hälfte der Unternehmensanleihen aus kohlenstoffintensiven Sektoren
- mitwirkende Expert:innen Mauricio Vargas
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Welche Rolle sollen Klimarisiken zukünftig bei der Geldpolitik der Notenbanken spielen? Diese Frage warf ausgerechnet Christine Lagarde, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), in den Raum und sorgte für einige Aufregung in der Branche. Und tatsächlich profitieren von den aktuellen Anleihekäufen der EZB bisher vor allem die Sektoren mit schlechtem CO2-Fußabdruck wie fossile Energien oder kohlenstoffintensiver Transport – echter Klimaschutz wird so untergraben. Das zeigt eine neue Studie von Greenpeace gemeinsam mit der New Economics Foundation, der SOAS University of London, der University of the West of England und der University of Greenwich. Die Autor*innen kommen zu dem Ergebnis:
- Weit mehr als die Hälfte der von der Europäischen Zentralbank (EZB) erworbenen Unternehmensanleihen (63 Prozent) stammt aus wenigen Sektoren, die mit ihrem CO2-Ausstoß massiv zur Klimakrise beitragen.
- Die ökologische Unwucht der getätigten EZB-Käufe fällt noch schwerer ins Gewicht, wenn man den Beitrag der begünstigten Sektoren zu Beschäftigung und Wertschöpfung betrachtet: 63 Prozent der von der EZB gehaltenen Anleihen stammen aus kohlenstoffintensiven Sektoren, die lediglich 18 Prozent zur Beschäftigung und 29 Prozent zur Bruttowertschöpfung in der Eurozone beitragen.
Ausgangspunkt für die Analyse sind die von der EZB im Rahmen ihres Ankaufprogramms CSPP erworbenen Bestände an Unternehmensanleihen mit einem Umfang von 242 Milliarden Euro Ende Juli. Für Mauricio Vargas, Finanzexperte bei Greenpeace, ist die Konsequenz klar: „Die Europäische Zentralbank braucht eine konsequente klimafreundliche Neuausrichtung. Dafür muss sie ihre Geldpolitik schleunigst in Einklang mit den Pariser Klimazielen bringen und damit den Rahmen für ein grünes europäisches Finanzwesen setzen.”
Die Studie kommt genau zum richtigen Zeitpunkt: Die EZB befindet sich gerade mitten in einem Prozess zur strategischen Neuausrichtung, der auch den Input von Stimmen aus der Zivilgesellschaft explizit berücksichtigen soll. „Die EZB hat jetzt die Chance, zuzuhören und ihren geldpolitischen Fehlkurs im Rahmen ihrer angekündigten Neuausrichtung zu korrigieren. Damit würde sie auch mehr progressive Finanzinstitute ermutigen, sich aus der Finanzierung klimaschädlicher Geschäftsmodelle zu verabschieden”, so Vargas.
Zwei Lösungswege für die EZB
Die Studie zeigt in zwei Szenarien auf, wie die EZB mit einfachen Korrekturen die ökologischen Unwuchten ihrer aktuellen Geldpolitik überwinden kann. Dazu muss sie insbesondere ihre Kriterien zur Marktneutralität überarbeiten und Klimarisiken einbeziehen.
- Das erste Szenario sieht vor, den Ankauf von Anleihen aus kohlenstoffintensiven Unternehmen zu reduzieren und mehr Anleihen von Firmen mit besserer CO2-Bilanz zu erwerben.
- Im zweiten Szenario werden alle Anleihen von klimaschädlichen Unternehmen aus dem Portfolio entnommen und Anleihen klimafreundlicherer Firmen hinzugefügt, indem die Kaufkriterien geändert werden.
Hintergrund: Die EZB und ihre vermeintliche Marktneutralität
Die Europäische Zentralbank ist die Zentralbank des Euroraums und verfolgt als oberstes Ziel die sogenannte Wahrung der Preiswertstabilität. Nachdem die EZB-Leitzinsen jedoch so niedrig sind, dass sie nicht mehr weiter gesenkt werden können, ist der massenhafte Ankauf von Wertpapieren das wichtigste geldpolitische Instrument – bei Unternehmensanleihen im Rahmen des Corporate Purchase Program (CSPP). Um Verzerrungen zwischen einzelnen Marktsegmenten zu verhindern, gibt sich die EZB im Sinne einer vermeintlichen „Marktneutralität” eine Reihe von Regeln. Diese Kriterien sind jedoch umstritten: So werden nur Emissionen mit einer Mindestgröße für den Kauf zugelassen, was automatisch die großen Unternehmen begünstigt. Desweiteren bedarf es einer entsprechenden Bonitätsbewertung der Ratingagenturen, weshalb sich die EZB stark von den Bewertungsmethoden dreier Agenturen abhängig macht. Zuletzt gilt als „Benchmark” für den Markt das gesamte ausstehende Volumen an Anleihen eines Unternehmens. Dadurch erhält ein Unternehmen mit hohen Schulden mehr EZB-Hilfen als ein Unternehmen mit geringen Schulden.
Einbeziehung von Klimarisiken nötig
Ein Konzept zur Berücksichtigung sogenannter Klimarisiken – also wirtschaftlicher Risiken bedingt durch den Klimawandel – fehlt bisher. Dabei geht es einerseits um physische Klimarisiken, die sich durch Wetterextreme als Folge der Klimakrise ergeben wie zum Beispiel Dürren oder Überschwemmungen, und andererseits um Transformationsrisiken. Denn die notwendige grüne Transformation der Wirtschaft gefährdet viele bisher klimaschädlich agierende Unternehmen in ihrer Existenz, was wiederum mit großen Verlustrisiken für die Investoren und Geldgeber einhergeht – und damit die Stabilität des Finanzsystems gefährdet.
„EZB-Chefin Lagarde stellt die richtige Frage nach der Rolle von Klimarisiken. Sie darf sich nicht vom Gegenwind, insbesondere aus Deutschland, ausbremsen lassen”, sagt Vargas. Er fordert: „Die Notenbanken dürfen nicht länger stur am Bewertungssystem der Ratingagenturen festhalten, sondern müssen Klimarisiken deutlich stärker miteinbeziehen. Das gilt insbesondere für die Deutsche Bundesbank als integraler Bestandteil des EZB-Systems, die beim Klimaschutz als Bremsklotz agiert.”