Die nordischen Wälder: wichtig für Menschen, Tiere und fürs Klima
- Nachricht
Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert
Sie speichern riesige Mengen Kohlenstoff, sind Heimat von Millionen Menschen, Tier- und Pflanzenarten: die Wälder des Nordens. Wie lange können sie den Klimawandel noch bremsen?
Sie ist gigantisch, scheint beinahe unendlich: Die Waldwildnis, die die Arktis um den gesamten Erdball herum zwischen dem 50. und 70. Breitengrad umgibt. Dieser sogenannte boreale, das heißt nördliche, Waldgürtel erstreckt sich von Alaska und Kanada über die skandinavischen Länder bis nach Russland an das Beringmeer.
Das Waldökosystem, das den poetischen lateinischen Namen Silva Borealis trägt, umfasst etwa 16 Millionen Quadratkilometer; rund 750 Milliarden Bäume wachsen dort. Es ist nach den tropischen Wäldern das zweitgrößte Waldökosystem der Welt – und von immenser Bedeutung für die Menschen und den gesamten Planeten.
Speicher für eine Billion Tonnen Kohlenstoff
Denn neben den tropischen Wäldern ist Silva Borealis der größte Kohlenstoffspeicher der Welt. Eine Studie, die die bisherigen wissenschaftlichen Analysen des borealen Kohlenstoffspeichers auswertet, zeigt: Im Durchschnitt binden die nördlichen Wälder permanent etwa 1000 Gigatonnen Kohlenstoff (1.000.000.000.000, also eine Billion Tonnen). Zum Vergleich: Unsere deutschen Wälder speichern rund 1,1 Milliarden Tonnen.
Anders als im tropischen Wald oder bei uns, sind es in den Wäldern des Nordens vor allem die Böden, die den Kohlenstoff speichern: 95 Prozent lagern dort. Doch die Böden leiden unter dem immer weiter voranschreitenden Klimawandel; durch die Erwärmung der Erde tauen ehemalige Permafrostböden auf. Um gegenzusteuern ist es wichtig, die nordischen Wälder nicht weiter zu zerstören – damit die Böden, auf denen sie stehen, nicht vom Kohlenstoffspeicher zur Kohlenstoffquelle werden.
Kahlschlag auf riesigen Flächen
Denn der aktuelle Klimawandel begünstigt schon jetzt die immer häufiger auftretenden Waldbrände – zunehmende Dürreperioden sind der Grund. Fast 60 Prozent des Waldverlustes in den nordischen Wäldern kann auf Feuer zurückgeführt werden – vielerorts werden sie sogar absichtlich gelegt, um billig an den Rohstoff Holz zu gelangen oder Landnutzungsvorgaben zu umgehen.
Greenpeace ist seit vielen Jahre in den Wäldern Russlands aktiv, aber auch in Skandinavien und Kanada. Das kanadische Great-Bear-Schutzgebiet, die Bewahrung von mehr als 100.000 Hektar finnischer Urwälder oder die Ausweisung des 74.000 Hektar großen Kalevalski-Nationalparks in Russland sind einige Erfolge dieser Arbeit. Doch längst nicht alle Wälder sind sicher: Ein Moratorium im Dvinsky-Urwald in Russland wird missachtet, in Schweden und Finnland sind viele Wälder ohne ausreichenden Schutzstatus, und in Kanada schreitet der brutale Raubbau an den nordischen Wäldern weiter voran.
Fast zwei Drittel des borealen Waldes werden weltweit als Forstfläche genutzt. So sind in Kanada kanapp 40 Prozent, in Russland 58 Prozent und in Skandinavien – Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland – bis zu 90 Prozent für industrielle Forstwirtschaft vorgesehen. Problematisch dort ist die langsame sogenannte Umtriebszeit, also die Zeit, in der eine neue Generation Bäume nachwachsen kann. „Durch die nördliche Lage und die langen Winter wachsen die Bäume sehr langsam“, erklärt Jannes Stoppel, Greenpeace-Experte für Wälder. „Deshalb können dünne, Flechten behangene Nadelbäume in den nordischen Wäldern so alt sein wie dicke Buchen hier bei uns.“
Kahlschlag heizt den Klimawandel an
Stoppel fordert deshalb: „Der nicht nachhaltige Raubbau in diesen Wäldern, getrieben durch die industrielle Forstwirtschaft, aber auch durch Ölförderung, Minenbau und anderen Infrastruktur, muss aufhören.“ Denn diese Rodungen für Papier, Verpackungskarton und Bauholz zerstören nicht nur die Bäume, sondern auch die Waldböden. Diese setzen den gespeicherten Kohlenstoff frei – der Klimawandel wird weiter angeheizt.
Deshalb startet Greenpeace heute eine internationale Kampagne für den Schutz der borealen Wälder. Greenpeace fordert Kanada, Russland, Schweden und Finnland auf, starke Fahrpläne für den Schutz der Wälder zu beschließen. Diese müssen mit den sogenannten Aichi-Zielen für den weltweiten Artenschutz übereinstimmen, die 2010 in einem internationalen Übereinkommen zur biologischen Vielfalt beschlossen wurden. Zudem müssen die Länder ihre nationalen Verpflichtungen zum Klimaschutz unter der UNFCCC deutlich verbessern.
Grüne Krone der Erde
Denn die Wälder des Nordens sind auch das Zuhause vieler indigener Gemeinschaften. In Kanada leben dort etwa die Dene und die Cree, in Skandinavien sind die Sami heimisch, die Nenets, Yakut, Udege und Altaisk bevölkern die Wälder Sibiriens. Doch ihre Landrechte müssen anerkannt und ihr Territorien besser geschützt werden.
Diese Nadelwaldregionen, in Russland auch Taiga genannt, liegen im arktischen Winter unter einer Schneedecke; Karibus und Luxe stapfen durch den Schnee. Im Frühling verwandelt sich die Waldwildnis von einer mystischen weißen Landschaft in die grüne Krone der Erde; mehr als 20.000 Tier- und Planzenarten erwachen aus dem Winterschlaf. Zwischen einer und drei Milliarden Vögel brüten in den Wäldern; im Winter suchen sie bei uns oder in weiter südlich gelegenen Regionen Schutz.
Ein immer währender Kreislauf in einem gigantischen und ungemein wichtigen Ökosystem. „Für die Menschen, die von diesen Wäldern leben, für Bären, Luchse, die unzähligen weiteren Arten und auch für unser Klima müssen die Wälder des Nordens erhalten bleiben“, so Stoppel, „als Quell des Lebens und als Kohlenstoffspeicher.“