Mythos grüne Inflation – Abhängigkeit von Öl und Gas treibt die Preise
- Ein Artikel von Matthias Lambrecht
- mitwirkende Expert:innen Mauricio Vargas
- Im Gespräch
Wirtschaftswissenschaftler:innen haben einen neuen Preistreiber ausgemacht: den Klimaschutz. Ökonomen warnen vor der “grünen Inflation”, kurz “Greenflation” genannt, weil Umweltabgaben wie eine CO2-Steuer oder CO2-Zertifikate die Energiepreise weiter in die Höhe treiben könnten. Mauricio Vargas, Volkswirt und Finanzexperte bei Greenpeace, erklärt im Interview, warum das Gegenteil der Fall ist, warum fossile und nicht erneuerbare Energien die aktuelle Inflation antreiben und wie die Energiewende für stabile Preise sorgen kann.
Greenpeace: Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel und andere Ökonomen warnen vor einer “Greenflation”. Stimmt es, dass Klimaschutzvorgaben die Inflation anheizen?
Mauricio Vargas: Der Begriff “grüne Inflation” oder auch “Greenflation” ist hochgradig irreführend. In den vergangenen Jahrzehnten wurde die Inflationsentwicklung maßgeblich von der Ölpreisentwicklung bestimmt, ohne dass diese Abhängigkeit ernsthaft problematisiert und adressiert wurde. Und auch jetzt sind die explodierenden Gaspreise eine wesentliche Ursache für das insgesamt stark angestiegene Preisniveau. Insofern erleben wir – mal wieder – eine “Fossilflation”, also eine “fossile Inflation”. Eine “Greenflation” hingegen gibt es so nicht. Im Gegenteil: Die erneuerbaren Energien liefern mit einem Anteil von 40 Prozent an der Stromerzeugung in Deutschland schon jetzt nicht nur sauberen, sondern auch preisgünstigen Strom und tragen damit maßgeblich dazu bei, die Preissteigerungen zu dämpfen.
Die Inflationsrate ist so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr, vor allem die Energiepreise explodieren. Ende vergangenen Jahres musste ein Durchschnittshaushalt gut 20 Prozent mehr für den Verbrauch von Energie bezahlen als im Vorjahr. Was sind denn die wesentlichen Gründe für diesen rasanten Preisanstieg?
Drei Gründe sind für die aktuelle Inflation entscheidend: Erstens Corona. Am allermeisten haben die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie für steigende Preise gesorgt. Nach dem historischen Einbruch der Konjunktur 2020 kam es im vergangenen Jahr zu einer spürbaren Erholung. Doch nicht überall konnten die Anbieter von Waren und Dienstleistungen die schnell wieder anziehende Nachfrage auch gleich befriedigen. Die Lieferketten waren unterbrochen, es kam zu globalen Lieferengpässen und deshalb stiegen die Preise. So lag die Inflation in Deutschland 2020 noch bei gerade einmal 0,4 Prozent und stieg dann 2021 deutlich auf 3,1 Prozent.
Zweitens – auch wegen Corona – wurde die Mehrwertsteuer im vergangenen Jahr wieder auf die regulären Sätze von 19 und 7 Prozent angehoben, nachdem sie 2020 auf 16 und 5 Prozent abgesenkt worden war, um die Wirtschaft zu stützen. An dritter Stelle kommt der starke Anstieg der Energiepreise. Der geht aber auf das Konto der massiv gestiegenen Preise für fossiler Energieträger wie Gas, Öl und Kohle und liegt nicht am Klimaschutz, im Gegenteil.
Die Öl- und Gaspreise haben sich in den vergangenen Monaten ja drastisch verteuert. Warum?
Fossile Energie hat sich in der Tat vehement verteuert, und das belastet viele Haushalte stark, besonders beim Gas. Allerdings liegen die akuten Ursachen gerade nicht in der Energiewende, sondern in der politisch motivierten Verknappung der Gaslieferungen aus Russland, bei global hoher Nachfrage. Der verschleppte Ausbau der Erneuerbaren und die nach wie vor sehr hohe Abhängigkeit von wenigern Gas-Importeuren zur Wärmeversorgung sind die wesentlichen Ursachen der aktuellen Probleme. Mit der Energie- und Wärmewende werden wir unabhängiger von importierten fossilen Brennstoffen und sind damit weniger betroffen von der Preisentwicklung auf dem Weltmärkten.
Dennoch treiben ja schon auch höhere CO2-Steuern und teurere CO2-Zertifikate die Preise für Energie noch weiter nach oben. Wie groß ist denn ihr Anteil am Anstieg der Inflationsrate in den vergangenen Monaten?
Die Bundesbank und die Expert:innen des Sachverständigenrats schätzen, dass der CO2-Preiseffekt das Preisniveau insgesamt um 0,25 Prozent bis 0,5 Prozent steigen lässt. Damit tragen die Abgaben zum Klimaschutz einen vergleichsweise geringen Teil zur jetzigen Inflationsrate bei. Viel relevanter sind dagegen die weltweit gestiegenen Energiepreise und hier insbesondere der Öl- und Gaspreis, die etwa die Hälfte des Preisanstiegs erklären. Speziell die Vervierfachung des Gaspreises binnen eines Jahres übertrug sich auf die Börsenstrompreise, was wiederum den Einsatz von Kohlestrom attraktiver machte und den Preis für CO2-Zertifikate in die Höhe schnellen ließ. Der hohe CO2-Zertifikate-Preis ist also vor allem eine Folge der hohen Gaspreise und nicht ein eigenständiger Preistreiber. Die Kausalität darf hier nicht umgedreht werden.
Die CO2-Abgabe soll bis 2025 von derzeit 30 auf 55 Euro steigen. Ein Zertifikat, das zum Ausstoß einer Tonne CO2 berechtigt, kostet an der Börse inzwischen mehr als 80 Euro. 2021 waren es im Schnitt nur 25 Euro. Warum unterstützt Greenpeace die Forderung, den Preis für Kohle, Öl und Gas und andere klimaschädliche Produkte weiter anzuheben?
Die Preise sollten transparent alle Kosten widerspiegeln - auch die gesellschaftlichen Kosten der Umweltbelastungen. Gemessen an den externen Klima- und Umweltschäden, die mit den Emissionen aus fossilen Brennstoffen verursacht werden, müsste der wahre Preis nach Berechnungen des Umweltbundesamtes mindestens 200 Euro pro Tonne betragen. Die Verbraucher:innen von Kohle, Öl und Gas zahlen aber deutlich weniger und damit werden die fossilen Energieträger faktisch subventioniert.
Richtig ist: Wenn der Ausstoß von Treibhausgasen über eine steigende CO2-Abgabe einen höheren Preis bekommt, wird es mittelfristig teurer, fossile Energien einzusetzen. Mit diesem wahren Preis wird das Verursacherprinzip durchgesetzt und es werden Anreize geschaffen, weniger klimaschädlich zu wirtschaften. Denn bislang werden die sogenannten externalisierten Kosten, die durch Klima- und Umweltschäden bei Förderung, Transport und Verbrennung von Kohle, Öl und Gas entstehen, nicht von den Verbraucher:innen getragen, sondern auf die Allgemeinheit abgewälzt.
So haben allein die deutschen Treibhausgas-Emissionen im Jahr 2019 Umweltkosten in Höhe von mindestens 156 Milliarden Euro verursacht. Jüngstes Beispiel für diese ausgelagerten Klimakosten der fossilen Energieträger sind die 46 Milliarden Euro Schäden durch die klimabedingten Extremwetterereignisse im Ahr- und Erftal, die von den Betroffenen und über staatliche Hilfen am Ende von den Steuerzahler:innen mit bezahlt werden müssen.
Deshalb sind Steuern und Abgaben auf CO2-Emissionen keine neuen Kostentreiber, sondern machen lediglich transparent, wer für die Kosten aufkommen sollte. Sie tragen damit dazu bei, die Verursacher:innen in die Pflicht zu nehmen, um Umwelt- und Klimaschäden zu vermeiden und die Belastung für uns alle und kommende Generation zu senken.
Sollte das Tempo der Energiewende gedrosselt werden, damit der Umbau für die Wirtschaft und die Verbraucher:innen finanziell tragbarer wird?
Im Gegenteil! Wir sollten den Umbau jetzt vorantreiben, sonst wird es am Ende für uns alle teurer. Denn die erneuerbaren Energien sind nicht nur klimafreundlicher sondern auch günstiger. Der besondere Vorteil der Energiegewinnung aus Wind und Sonne besteht in der schlichten Tatsache, dass keine Brennstoffe zur Erzeugung der Elektrizität benötigt werden. Einmal gebaut liefern die Anlagen für viele Jahrzehnte fast kostenlosen Strom. Deshalb sind Kosten der Stromerzeugung mit Erneuerbaren nicht nur weltweit, sondern auch in Deutschland unter die der Erzeugung mit fossilen Energien gesunken. Da der flächendeckende Ausbau weltweit erst am Anfang steht, sind weiter sinkende Preise durch technologische Entwicklungen und Größenvorteile in der Produktion wahrscheinlich. Die ökologische Transformation wird also die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduzieren, den Einfluss von weltweiten Preisschwankungen mindern und sukzessive die Preise für Energie verringern.
Es wird aber eine Weile dauern, bis sich das im Geldbeutel niederschlägt. Wie sollen Menschen mit geringen Einkommen nach dem Inflationsschub der vergangenen Monate die weiter steigenden Preise für fossile Energieträger bezahlen?
Wenn wir den Verbrauch klimaschädlicher Energieträger und Produkte nicht länger subventionieren und wenn wir Steuern und Abgaben erheben, damit wahre Preise gezahlt werden, die auch die Umweltkosten anzeigen, dann stehen finanzielle Mittel für den sozialen Ausgleich zu Verfügung. Die Einnahmen aus der CO2-Abgaben können an alle Bürgerinnen und Bürger zurückgezahlt werden. Bereits eine einheitliche Pro-Kopf-Prämie könnte die verfügbaren Einkommen ärmerer Haushalte spürbar erhöhen. Menschen mit geringeren Einkommen konsumieren in aller Regel auch weniger Produkte und Leistungen, die mit einer CO2-Steuer teurer werden. Sie hätten mit der Prämie unter dem Strich mehr Geld zur Verfügung. Haushalte mit hohen Einkommen und mehr klimaschädlichen Verbrauch würden dagegen stärker in die Pflicht genommen.
Denkbar wären aber auch Lösungen zur Rückerstattung der CO2-Steuereinnahmen, die vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen stärker entlasten. Ein fairer sozialer Ausgleich und die gerechte Verteilung der Lasten und Erträge ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass es eine breite gesellschaftliche Unterstützung für die anstehende Transformation gibt und es uns gelingt die Klimaschutzziele als Gesellschaft gemeinsam und solidarisch zu erreichen.
Lösungen gibt es da viele. Wichtig ist, sie jetzt schnell umzusetzen. Denn ein Nicht-Handeln beim Klimaschutz kommt uns alle viel teurer.
Kurz gesagt: Vier Fragen zu grüner Inflation
Was versteht man unter “grüner Inflation”?
“Grüne Inflation”, auch “Greenflation” genannt, meint die Inflation, die durch Klimaschutzabgaben wie die CO2-Steuer oder die steigenden Preise für CO2-Zertifikate ausgelöst werden. Einige Wirtschaftswissenschaftler haben diesen Begriff geprägt. Tatsächlich ist der Begriff aber irreführend, da zum Beispiel der Einfluss steigender Öl- und Gaspreise auf die Inflation um ein Vielfaches höher ist.
Was treibt die Inflation an?
Dass die Inflation zur Zeit so hoch ist, liegt zu großen Teilen an Corona: Zum einen kann zur Zeit das Angebot nicht mit der Nachfrage mithalten, was zu höheren Preisen führt, zum anderen lief die Senkung der Mehrwertsteuer wieder aus. An dritter Stelle kommen die gestiegenen Energiepreise.
Warum sind Öl und Gas zur Zeit so teuer?
Dass Öl und vor allem Gas zur Zeit so teuer sind, liegt auch daran, dass die Nachfrage das Angebot übersteigt. gerade russland verknappt gerade aus geopolitischen Überlegungen seine energieressourcen auf dem Markt. Eine schnelle Energiewende kann Deutschland unabhängiger von schwankenden Energiepreisen machen.
Was ist “fossile Inflation”?
Unter “fossiler Inflation” oder “Fossilflation” versteht man den Zusammenhang, dass steigende Preise für fossile Energien wie Kohle Öl und Gas die allgemeinen Preise in die Höhe treiben und so zu steigender Inflation beitragen.