Leben außerhalb der Stadt
- Nachricht
Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert
Enciso Ruiz, der seit über zehn Jahren seinen Sitz im Rathaus hält, lächelt von Werbeplakaten auf sie herunter. Vertraue dem, der Dir nie den Rücken zuwenden wird - 100% im Interesse der Stadt. Ein paar Meter weiter das Zuhause derer, die Enciso am liebsten aus seinem Blickfeld verbannt würde.
Auf einem verlassenen Platz, der als Müllabladefläche dient, haben marokkanische Arbeiter Hütten aus notdürftig zusammengezimmerten Paletten gebaut. Plastikplanen überdecken die Konstruktion, als Einrichtung dient ein klappriges Bettgestell. Draußen schwelt eine Feuerstelle, der Gestank nach verfaultem Gemüse liegt in der Luft. Fliegen schwirren über einem Haufen von verrottendem Treibhausmüll.
Trinkwasser und Elektrizität gibt es hier nicht. Wasser zum Wäschewaschen und Kochen holen wir uns aus der Balsa. In den Wasserbassins, die der Bewässerung der Gewächshäuser dienen und meist die einzige Wasserquelle der Bewohner sind, schwimmen alte Pestizidkanister. Baden verboten steht am Beckenrand. Bauer Juan Alonso erregt sich, dass die Arbeiter trotzdem hinein steigen, um Wasser zu holen. Irgendwann schafft es einer nicht mehr raus, das kennen wir doch, und dann ist es mein Becken, in dem er verreckt.
Die Elendsbehausungen der Immigranten sind auch der lokalen Regierung ein Dorn im Auge. Am 3. März 2006 unterschrieb Evangelina Naranjo, Ratsmitglied der Gemeindeverwaltung von El Ejido, gemeinsam mit Bürgermeistern der Region ein Protokoll zur Räumung illegaler Siedlungen und kündigte an, das Entstehen neuer Chabolas zu verhindern.
Stunden später rollte ein Bagger in eine Chabola-Siedlung nahe El Ejido und zerstörte die Behausungen von fünfzehn Immigranten. Als die Bewohner von der Arbeit kamen, fanden sie ihre Habseligkeiten unter den Trümmern begraben. So was passiert hier so häufig, dass wir schon fast daran gewöhnt sind, sagt Abdelkader.
Lehrer, Bauern, Fischer, Studenten - egal, welchem Beruf die Immigranten in ihrem Herkunftsland nachgingen, hier durchleben alle dasselbe. An den Gewächshäusern kommst du nicht vorbei, sie sind für die Papierlosen das Tor nach Spanien. Nur hier wird es von offizieller Seite geduldet, Illegale zu beschäftigen. Kontrollen gibt es kaum, wir haben nur fünf Inspektoren für die gesamte Provinz, und die kommen nur, wenn es Probleme gibt. Außerdem werden die Kontrolleure vorher angekündigt und der Patrón sorgt dann dafür, dass alles sauber ist, bevor sie eintreffen. Spitou Mendy war siebzehn Jahre lang Professor für Sprachen im Senegal, bevor er hierher kam, um in den Gewächshäusern sein Glück zu suchen.
Die Situation der Arbeiter ist fatal. Sie werden ausgebeutet und leben mit der ständigen Angst, abgeschoben zu werden. Obwohl der Vertrag für Tagelöhner in der Landwirtschaft auch für die Papierlosen gilt, wird mit ihren Rechten Schindluder getrieben. Die Patrones überziehen willkürlich die Arbeitszeit und zahlen viel zu wenig. Die Leute spritzen Pestizide ohne Schutzkleidung und leiden an Hautausschlag und Kopfschmerzen, manche bekommen Krebs.
Die Arbeiter weigern sich, Schutzkleidung zu tragen. Wieso sollte ich sie dazu zwingen? Juan Andrés, Sozio einer großen Treibhausplantage, demonstriert den Gewerkschaftsmitarbeitern zwei Gasmasken und dazugehörige Schutzanzüge in seinem Werkschrank. Außerdem, was soll’s. Wenn sie wirklich durchs Sprühen kontaminiert werden, dann sind sie es eh längst.
Dreißig seiner Arbeiter befinden sich seit den Morgenstunden im Streik und fordern sauberes Trinkwasser, Atemschutzmasken, den vertraglich festgelegten Stundenlohn. Sie stehen in der sengenden Mittagssonne vor der Halle, Staub bedeckt ihre Füße, einige tragen Sandalen, dazu T-Shirts, abgetragene Hosen.
Mohammed hat seine Papiermaske in die Stirn geschoben. Seit vier Monaten sprühe ich Tag für Tag Gift. Immer nur mit dieser Maske aus Papier. Manchmal arbeite ich sechzehn Stunden am Tag und bekomme dafür 36 Euro. Mit verschränkten Armen stehen sie ihrem Patrón gegenüber.
Mehr kann ich nicht zahlen, wettert Juan Andrés. Er schwitzt und sein Bauch quillt über den Hosenbund. Mehr Geld, dafür weniger Leute, das ist sein Angebot. Sehen sie, was die mit mir machen. Die Produktion muss heute noch raus! Vor der Halle steht sein Auto, ein Luxusmodell von BMW.
Bei Agrupaejido, einer der größten Versteigerungsplattformen für Obst und Gemüse in der Region, herrscht sechs Tage in der Woche geschäftiges Treiben. Fünftausend Bauern setzen hier pro Jahr ihre Treibhausprodukte ab, die an Abnehmer in ganz Europa gehen. Durch Billigdiscounter und Supermärkte landen die Produkte ohne Umwege auf deutschen Tischen.
Schon seit langem setzt sich Greenpeace für Umweltstandards in der Agrarindustrie ein. Seitdem hat sich auch das Bewusstsein vieler Konsumenten über die Qualität ihrer Lebensmittel geschärft. Und auch wenn einige der Produkte schon einer gewissen Kontrolle durch lokale Behörden und Zertifizierungsinstanzen wie EurepGAP unterliegen, reicht das noch lange nicht aus, um die menschenunwürdige Situation der Arbeiter vor Ort zu verbessern.
Doch während Normen für einen ökologisch verantwortungsvollen Umgang in der Landwirtschaft langsam Fuß fassen, bleibt die Sorge um menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter auf der Strecke. Initiativen wie die der BSCI (Business Social Compliance Initative) für verbesserte Arbeitsbedingungen gibt es bereits. Doch bislang fehlt der nötige Druck auf Anbieter und Institutionen, diese auch zu implementieren und umzusetzen.