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Spargelernte in Brandenburg
(c) Gordon Welters / Greenpeace

Neue Agrarpolitik nach Corona

Greenpeace hat Landwirtschafts-Expert*innen aus unterschiedlichen Bereichen gebeten, die Folgen der Corona-Krise für Landwirtschaft und Agrarpolitik zu analysieren. Thomas Hentschel, Leiter des gewerkschaftsnahen PECO-Instituts in Berlin, beantwortet die Frage:

Wie können faire und verlässliche Arbeitsbedingungen  in der Landwirtschaft gesichert werden? 

Die Corona-Krise hat die Ausbeutungsmechanismen ins Licht der Öffentlichkeit gerückt, denen die Saisonbeschäftigten in der EU-Landwirtschaft weitgehend schutzlos ausgesetzt sind. Seit 20 Jahren gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU. Seitdem hat sich die Agrarstruktur im Obst- und Gemüsebereich in Europa radikal gewandelt.  Für Betriebe in der EU sind billige Arbeitskräfte verfügbar, die aufgrund des wirtschaftlichen Gefälles in Europa und Nordafrika ihre Arbeitskraft in der Landwirtschaft anbieten und nicht in die hiesigen sozialen Sicherungssysteme integriert sind. Europaweit, so Schätzungen der Europäischen Landarbeitergewerkschaft EFFAT, sind mehr als 4 Mio. Wanderarbeitskräfte beschäftigt. Hinzu kommen geschätzt rund 2,5 Mio. nicht-dokumentierte Arbeitskräfte.

Die Krise hat auch deutlich gemacht, wie sehr die deutsche und europäische Landwirtschaft auf die Zuwanderung von Arbeitskräften angewiesen ist - und es weiterhin sein wird. Die Politik muss endlich den Rahmen setzen, um faire Arbeits- und gute Lebensbedingungen für die Saisonbeschäftigten zu sichern. Dazu gehört eine Arbeitsstättenverordnung für die Landwirtschaft, in der auch die Bedingungen der Unterkunft für Wanderarbeiter*innen zu regeln ist – ein Vorschlag der IG BAU liegt bereits seit 2004 auf dem Tisch. Eine Anmeldung zur Sozialversicherung am ersten Tag der Beschäftigung ist dringend erforderlich - nicht zuletzt, weil damit an Covid 19 Erkrankte erfasst und die Übertragungswege des  Corona-Virus genauer nachvollzogen werden können.

Keine Subventionen für Sozialdumping

In den vergangenen Jahren haben die großen Betriebe ihre Kulturen diversifiziert: Im Frühjahr wird Spargel angebaut, im Frühsommer folgen zum Beispiel Erdbeeren oder Heidelbeeren, im Herbst werden Kürbisse geerntet. So wird die Saison auf sechs bis acht Monate verlängert und Saisonarbeitskräfte können länger beschäftigt und besser in das Sozialsystem integriert werden. 

Die Agrarpolitik sollte Anreize bieten, dass die Entwicklung weiter in diese Richtung läuft. Sie muss sozialversicherungspflichtige Beschäftigung fördern. Aus dem Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER)  könnten Zuschüsse für den Bau guter Unterkünfte gezahlt und integrative Projekte gefördert werden. Und Betrieben, die gegen soziale Standards verstoßen, muss die Agrarförderung konsequent gekürzt werden. 

Nicht nur die Saisonbeschäftigten haben Probleme. Ein effektiver Arbeits- und Gesundheitsschutz, eine den allgemeinen Standards folgende Entlohnung, eine tarifliche Zusatzversorgung (ZLA/ZLF), betriebliche Mitbestimmung und die Förderung von lebenslangem Lernen sind nur einige wichtige Bereiche, die es für alle Beschäftigten in der Landwirtschaft zu verbessern gilt.

Besonderer Schutz für WanderarbeiterInnen

Dabei machen die Lohnkosten gerade einmal ein Zehntel des Verkaufspreises von Obst und Gemüse an der Ladentheke aus. Gut 90 Prozent der Erlöse gehen an die landwirtschaftlichen Unternehmen, die Aufbereitung, den Vertrieb und den Handel. Die Wanderarbeiter*innen sind das schwächste Glied in dieser Kette. Sie brauchen besonderen Schutz. Doch stattdessen wird an ihnen immer zuerst gespart. Das rächt sich in Zeiten der Krise.

Bedeuten faire Arbeitsbedingungen auch höhere Preise für landwirtschaftliche Produkte? Wir dürfen uns nichts vormachen: Damit müssen wir rechnen, wenn wir die Ausbeutung von Menschen oder natürlichen Ressourcen  nicht mehr hinnehmen wollen. Allerdings liegen die Ausgaben für Lebensmittel pro Haushalt hierzulande bei etwa 11 Prozent (ohne Genussmittel)  - und geschätzt wird, dass 40 Prozent der produzierten Lebensmittel auf dem Müll landen. 

Steigende Preise würden dennoch wirtschaftlich schwächere Haushalte treffen. Familien mit niedrigen Einkünften sollten etwa mit kostenlosem Schulessen oder Obst und Gemüse aus Sozialkaufläden entlastet werden. Informations- und Bildungskampagnen könnten über den Nutzen von fair und nachhaltig erzeugten Nahrungsmitteln aufklären. 

So könnten Preise fair werden

Angesichts der zunehmen Marktmacht einiger weniger großer Handelsketten stellt sich allerdings die Frage, ob die Preisbildung vor dem Hintergrund der sozialen und ökologischen Herausforderungen der landwirtschaftlichen Erzeuger noch zeitgemäß ist. Können nicht Verbände über neue Formen der Preisfindung nachdenken? Mit dem Ziele genossenschaftlich Preise zu verhandeln, so dass die Betriebe eine verlässliche Kalkulationsgrundlage über das Jahr haben?

Bereits 1931 stellte Kurt Tucholsky fest: „Die deutsche Landwirtschaft wohnt seit fünfundzwanzig Jahren am Rande des Abgrunds und fühlt sich dort ziemlich wohl.“   Es ist höchste Zeit, dass sich daran etwas ändert!

 

Ein Gastbeitrag von Thomas Hentschel, Leiter PECO-Institut Berlin 

Weitere Artikel aus der Reihe "Neue Agrarpolitik nach Corona":

Die Krise nutzen

Erste Priorität Klimaschutz

 

 

  • Thomas Hentschel, Geschäftsführer PECO Institut e.V.

    Thomas Hentschel, Geschäftsführer PECO Institut e.V.

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  • Saisonkräfte bei der Spargelernte

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Tierqual Ställe bei Bärenmarke

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