Neue Agrarpolitik nach Corona
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Greenpeace hat Landwirtschafts-Expert*innen aus unterschiedlichen Fachbereichen gebeten, die Folgen der Corona-Krise für Landwirtschaft und Agrarpolitik zu analysieren. Prof. Dr. Friedhelm Taube, Direktor des Instituts für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung an der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Kiel und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundeslandwirtschaftsministerium in Berlin, beantwortet die Frage:
Zählt nach Corona vor allem die wirtschaftliche Erholung und müssen Umwelt- und Klimaschutz zurückstehen?
Die aktuellen politischen Debatten in Deutschland sind allerorten davon geprägt, welche Präferenzen nach Corona zu setzen sind. Zwei Positionen stehen sich dabei grundsätzlich gegenüber:
- Die eine, eher konservative Position lautet: Nach dem Einschnitt durch die Pandemie muss jetzt die wirtschaftliche Erholung erste Priorität haben – im Agrarbereich geht es dabei auch um die sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln. Andere Aspekte sollten dahinter zurückstehen, so etwa die von der EU-Kommission eingeläutete große Transformation hin zum “Green Deal”, mit anspruchsvollen Maßnahmen für den Klimaschutz.
- Die andere Perspektive, die von großen Teilen der Wissenschaft und auch von weiten Teilen der Zivilgesellschaft eingenommen wird, richtet den Blick eher auf die große Chance, die diese Krise eröffnet: Sie bietet die Gelegenheit, die bereits angelaufene Transformation der Wirtschaft auch im Agrarsektor mit Nachdruck voranzutreiben.
Es spricht meines Erachtens alles für diese Sicht der Dinge. Wir sollten jetzt alle uns zur Verfügung stehenden Hebel nutzen, um die gesetzten Klimaziele zu erreichen. Denn die haben auch nach der Corona-Krise höchste Priorität - und das braucht kein Widerspruch zu konservativen Positionen zu sein.
Erträge aller Ackerkulturen stagnieren
Dass wir jetzt handeln müssen, ist augenscheinlich: Die Wetterextreme nehmen deutlich zu - mit der Konsequenz, dass in Deutschland die Erträge aller Ackerkulturen (bis auf Zuckerrüben) trotz inzwischen höchster technischer Effizienz der Präzisionslandwirtschaft stagnieren. Bereits seit mehr als 20 Jahren gibt es die jährlichen Ertragszuwächse von ein bis zwei Prozent nicht mehr, die in den vier Jahrzehnten zuvor üblich waren. Die Lücke zwischen den tatsächlichen Erträgen und dem, was dank neuer (konventioneller) Züchtungen möglich sein sollte, wird größer. Die Nährstoffüberschüsse durch Überdüngung und andere daraus resultierende Umweltbelastungen sind auf zu hohem Niveau nahezu konstant geblieben.
Die Landwirtschaft in vielen westeuropäischen EU-Staaten inklusive Deutschlands ist daher gefordert, dem neuen Leitbild der „ökologischen Intensivierung“ zu folgen, um unter den sich weiter ändernden Bedingungen bestehen zu können: Um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, wird es künftig darum gehen, Erträge auf dem heutigen Niveau zu halten, weil Ertragssteigerungen im Klimawandel zu teuer werden dürften, und gleichzeitig die ökologischen Belastungen deutlich zu reduzieren. Dazu gilt es, Anbausysteme so anzupassen, dass sie vielfältiger und stabiler werden, damit die landwirtschaftlichen Betriebe mit den Auswirkungen des Klimawandels besser zurechtkommen.
Das kann etwa gelingen, indem bisher spezialisierte Betriebe mit einseitigen Fruchtfolgen durch Betriebskooperationen gemeinsam ihre Flächen nutzen. Mit vielfältigen Fruchtfolgen werden sie so zu ‚virtuellen Gemischtbetrieben‘, können Risiken streuen und Kosten senken. Zudem sollten wertvolle Leistungen der Ökosysteme - wie etwa das Bestäuben von Blüten durch Insekten – deutlich stärker gefördert werden. Zum Beispiel könnten Düngegesetzgebung und Insektenschutzprogramm so verknüpft werden, dass ein Nutzen für Landwirtinnen und Landwirte ebenso wie für die Umwelt entsteht. „Schlagintere Segregation“ ist hier das Stichwort – das heißt: In den sogenannten „roten Gebieten“ mit hoher Nitratbelastung im Grundwasser verpflichtet sich der landwirtschaftliche Betrieb, auf 10 Prozent seiner Fläche keine Düngung auszubringen und den Rest der Fläche mit 90 Prozent des Bedarfes zu düngen. Damit sind die Auflagen der Düngeverordnung erfüllt, zusätzlich erhält der Betrieb für den Biodiversitätsschutz auf 10 Prozent seiner Fläche einen finanziellen Ausgleich.
Vorstellbar sind auch Formen der „Hybrid-Landwirtschaft“, in der eine Hälfte der Kulturarten in der Fruchtfolge nach Ökolandbaustandards bewirtschaftet wird (z.B. Anbau von mehrjährigem Kleegras oder Luzerne). Dafür erhält der Betrieb einen Ausgleich. Dann folgen drei weitere Kulturarten nach konventionellen Standards. Das Ergebnis wären Erträge, die nah am heutigen konventionellen Niveau liegen, kombiniert mit einer deutlichen Abnahme der Umweltbelastungen und einer Förderung der Artenvielfalt.
Innovationen für mehr Ökoeffizienz fördern
Die Beiträge Deutschlands zur Sicherung der Welternährung sollten sich künftig stärker auf Innovationen zur Steigerung der Ökoeffizienz und die Vermarktung der auf diese Weise hierzulande erzeugten Produkte konzentrieren – etwa, indem der Mehrwert des kleinsten ökologischen Fußabdrucks über entsprechende Label herausgestellt wird. Mit der Förderung des Exports oder der Lagerung von Massenprodukten ohne diese Zusatzleistungen - wie zum Beispiel derzeit beim Milchpulver - muss dagegen Schluss sein. Die Agrarwissenschaften in Deutschland bieten schon heute praktikable Lösungsansätze an. Deshalb ist es folgerichtig, wenn die EU-Kommission die „From-Farm-to-Fork“-Strategie konsequent und ohne wesentlichen Aufschub angeht. Der hohe Handlungsdruck in den Bereichen Klima-, Gewässer- und Biodiversitätsschutz rechtfertigt dies uneingeschränkt.
Das sind die drängendsten Aufgaben für die Agrarpolitik in Deutschland und der EU:
- Eine ambitionierte Düngegesetzgebung durchsetzen: Die beschlossene Novelle sollte in den Bundesländern ohne weiteren Verzug und konsequent umgesetzt werden – die bizarre Diskussion um die ‚roten Gebiete‘ ist fehlgeleitet, denn de facto ist ganz Deutschland ‚rotes Gebiet‘. Folgen muss jetzt die umgehende Novellierung der Stoffstrombilanzverordnung. Dazu gehört die Einführung sogenannter „Hoftorbilanzen“ zur Erfassung der Nährstoffüberschüsse mit ambitionierten Grenzwerten für alle Betriebe. Denn die Reduktion der Nährstoffüberschüsse bei Stickstoff und Phosphor ist der zentrale Hebel für Klima-, Wasser und Biodiversitätsschutz.
- Die Gemeinwohlorientierung der EU-Agrarpolitik nach 2020 vorantreiben: Die Förderung der landwirtschaftlichen Betriebe nach der Flächengröße muss durch ein System abgelöst werden, das zuallererst Betriebe honoriert, die schonend mit wertvollen Ressourcen umgehen und Umwelt, Klima und Arten schützen, so das nur noch Gemeinwohlleistungen mit öffentlichen Geldern belohnt werden.
- Einen EU-Agrarhaushalt mit ausreichend Fördermitteln für eine nachhaltige und zukunftsfähige Landwirtschaft beschließen, um jene Kräfte im Agrarsektor zu stärken, die bereit sind, eine ökologische Intensivierung zu aller Nutzen voranzutreiben.
Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Friedhelm Taube, Direktor des Instituts für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung an der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Kiel und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundeslandwirtschaftsministerium in Berlin
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