Biosprit ist umweltpolitischer Unfug
Der intensive Anbau von Energiepflanzen schadet nicht nur Klima und Artenvielfalt. Wertvolle Lebensmittelpflanzen wie Getreide und Ölsaaten werden zu Biosprit und Tierfutter verarbeitet.
- Hintergrund
Biokraftstoffe sind eingeführt worden, um den Klimaschutz voranzutreiben und die Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren. Diese Ziele sind richtig, doch Biosprit ist der falsche Weg dorthin. Denn Lebensmittel gehören nicht in den Tank. Der intensive Anbau und der Flächenverbrauch für Biosprit aus Ackerpflanzen schaden zudem Artenvielfalt und Klima. Die Koalition ist uneins: Umweltministerin Steffi Lemke will Kraftstoffe auf Basis von Nahrungs- und Futtermitteln bis zum Jahr 2030 auslaufen lassen, das von Volker Wissing (FDP) geführte Verkehrsministerium blockiert.
Normalerweise fahren im Minutentakt die Lastwagen auf das Gelände der Ethanolanlage von CropEnergies in Zeitz. Am 20. Juli 2022 protestieren 36 Aktivist:innen von Greenpeace vor der Zufahrt des Werks. Acht von ihnen haben sich mit ihren Händen in Stahltonnen fixiert, andere über dem Haupttor ein 22 mal drei Meter großes Banner aufgespannt. „Kein Essen in den Tank“ steht darauf.
Die CropEnergies AG, ein Tochterunternehmen der Südzucker AG, betreibt am Standort in Sachsen-Anhalt die größte Produktionsanlage für Bioethanol in Deutschland. Hier werden pro Jahr rund 700.000 Tonnen Weizen zu Biosprit verarbeitet. Mit dieser Menge ließen sich rund 4,8 Millionen vom Hunger bedrohte Menschen mit der täglichen Getreideration versorgen, die sie zum Leben brauchen.
Koalition streitet um Biosprit
“Es ist unverantwortlich, weiterhin Ackerflächen für den Anbau von Energiepflanzen zu blockieren, während Millionen Menschen das Nötigste zum Leben fehlt”, sagt Matthias Lambrecht, Experte für Landwirtschaft bei Greenpeace. “Wir fordern die Bundesregierung auf, die Beimischung von Biokraftstoffen zu Diesel und Benzin umgehend zu beenden.”
Umweltministerin Steffi Lemke (Die Grünen) schlägt vor, die Beimischung von Treibstoffen aus Lebensmittelpflanzen zunächst zu halbieren und dann weiter schrittweise so zu reduzieren, dass erst 2030 die Verwendung gänzlich eingestellt ist. Doch selbst diesen späten Ausstieg lehnt Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) ab. Lemke hat Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Die Grünen) an ihrer Seite. Die grünen Minister:innen können sich im Bundeskabinett allerdings nicht durchsetzen. Nach den Protesten von Bäuer:innen Anfang 2024 gegen die Streichung der Agrardiesel-Subventionen knickten Lemke und Özdemir ein und zeigten sich offen für die Nutzung von Agrosprit in der Landwirtschaft.
Wissing hält am Biosprit fest. Warum, ist einfach erklärt. Der Rückstand beim Klimaschutz in seinem Ressort ist beachtlich. Rund 20 Prozent des klimaschädlichen CO2-Ausstoßes in Deutschland sind auf den Autoverkehr zurückzuführen. 51 Millionen Tonnen Benzin und Diesel verbrannten Kraftfahrzeuge hierzulande allein im Jahr 2023.
Warum wird Biosprit fossilen Treibstoffen beigemischt?
Der von der Bundesregierung eingesetzte wissenschaftliche Klimarat kam in einem im Juni 2024 veröffentlichten Sondergutachten zu dem Schluss, dass Deutschland die gesetzlich vorgegebenen Klimaschutzziele für 2030 deutlich verfehlen dürfte. Verantwortlich dafür sind vor allem die Versäumnisse in der Verkehrspolitik. Mit den anhaltend hohen Treibhausgasemissionen aus dem Autoverkehr wird der Verkehrssektor bis zum Ende des Jahrzehnts 177 Millionen Tonnen CO2-Emissionen zu viel ausstoßen. Die Beimischung von Biosprit kann sich Minister Wissing dabei als Klimaschutzmaßnahme anrechnen lassen. Fiele sie weg, würde die Lücke zum Klimaziel noch größer. Dabei ist der Nutzen von Agro-Treibstoffen für das Klima zweifelhaft.
Eingeführt wurde die Biokraftstoffquote in Deutschland im Jahr 2007 – mit dem Ziel, den Verkehr klimafreundlicher zu gestalten. Seit 2015 ist die Mineralölwirtschaft verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen Jahr für Jahr um einen bestimmten, gesetzlich festgelegten Prozentsatz zu verringern. Ein Teil dieser sogenannten Treibhausgasminderungsquote kann mit Biosprit aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen erfüllt werden. Die Obergrenze liegt derzeit bei 4,4 Prozent. Dazu werden Pflanzen wie Rüben, Weizen zu Ethanol verarbeitet und Benzin beigemischt oder Pflanzenöle – etwa aus Raps – Dieselkraftstoff hinzugefügt.
Aktiv gegen Biosprit
Dass Getreide und Ölpflanzen, die zu Biosprit verarbeitet werden, einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz leisten, zählt jedoch zu jenen Mythen, welche die Industrie immer noch gerne verbreitet. Zwölf dieser Behauptungen haben Greenpeace und andere Umweltverbände in einem gemeinsamen Faktencheck widerlegt.
Mythen der Biosprit-Lobby
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HerunterladenBiosprit ist nicht klimaneutral
So ist die CO2-Bilanz von Agrosprit keineswegs so positiv, wie von der Agrar-Lobby dargestellt: Im Gegenteil. Der Kraftstoff aus Ackerpflanzen heizt die Klimakrise weiter an. In den Berechnungen, die den Nutzen für das Klima belegen sollen, wird der Flächenverbrauch für den Anbau der Energiepflanzen nicht berücksichtigt. Zahlreiche Studien - unter anderem im Auftrag der EU - belegen aber, dass dafür bislang unbewirtschaftete Flächen neu erschlossen werden. Dadurch werden natürliche Ökosysteme zerstört, die CO2 binden und für den Erhalt der Artenvielfalt unverzichtbar sind. Ebenso könnten bereits genutzte Anbauflächen als renaturierte CO2-Senken mehr zum Klimaschutz beitragen.
Zwar binden Pflanzen wie Weizen oder Zuckerrüben Treibhausgase aus der Luft, die erst bei der Verbrennung im Motor wieder freigesetzt werden. Aus dem Auspuff quillt also nicht mehr Kohlendioxid, als die Pflanze vorher gespeichert hatte. So gesehen ist der Treibstoff klimaneutral. Allerdings entscheidet die gesamte Produktionskette – vom Anbau bis zur Zapfsäule – über die Klimabilanz: Bei der Feldarbeit mit Landmaschinen, bei der Stickstoffdüngung sowie der Herstellung von Mineraldünger entstehen große Mengen Klimagase. Und die Weiterverarbeitung der Ernte zu Ethanol oder Biodiesel benötigt nochmals viel Energie. Selbst unter optimalen Bedingungen, wie etwa der Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien, ist der positive Klimabeitrag von Agrosprit nur gering.
Berücksichtigt man dann noch, dass für den Anbau von Energiepflanzen wertvolle Naturräume wie Urwälder zerstört werden, fällt die Klimabilanz eindeutig negativ aus. "Für die Herstellung von Biosprit werden riesige Flächen benötigt, der zusätzliche Bedarf kann nur durch eine weltweite Ausdehnung des Ackerbaus gedeckt werden. Das führt dann indirekt zur Zerstörung von Naturwäldern und Savannen, zum Beispiel in Argentinien und Indonesien”, erklärt Matthias Lambrecht, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace.
Es findet also eine Umnutzung statt: Auf bereits landwirtschaftlich erschlossenen Flächen werden Biosprit-Pflanzen angebaut, um den Bedarf an Ethanol für europäische Autotanks zu decken. Für andere Nutzungsarten – zum Beispiel den Anbau von Ölpalmen für die Kosmetikindustrie – werden Wälder gerodet. So wird Klimaschutz zur Farce: Urwälder sind natürliche CO2-Speicher. Sie durch Abholzung oder gar Brandrodung zu zerstören, erhöht den weltweiten CO2-Ausstoß.
Hoher Flächenverbrauch für Anbau von Energiepflanzen
Die EU braucht Millionen Hektar Ackerland außerhalb ihrer Grenzen, um den eigenen Bedarf an Nahrungs- und Futtermitteln sowie Biosprit zu decken. In Deutschland muss niemand hungern. Doch Agrosprit zu importieren, heißt, den Hunger in anderen Teilen der Welt zu verschärfen. Greenpeace-Aktivist:innen protestierten bereits im Jahr 2008 gegen Biosprit. Denn die Verarbeitung von Agrarpflanzen zu Kraftstoffen statt zu Nahrungsmitteln ist für steigende Lebensmittelpreise, Hunger und Urwaldzerstörung verantwortlich. Der Anbau hat mit "bio" nichts zu tun. Die Pflanzen wachsen meist in stark mit Stickstoff gedüngten und mit Pestiziden behandelten Monokulturen. Je mehr Agrosprit weltweit produziert wird, desto offensichtlicher werden die Probleme.
Die weltweit vorhandene Agrarfläche ist begrenzt: Die Konkurrenz zwischen Tankfüllung, Tierfutter und Ernährung treibt die Preise für Getreide in die Höhe. Krisen durch Kriege oder die zunehmende Erderhitzung verknappen das Angebot an Nahrungsmitteln weiter. Das UN-Welternährungsprogramm warnt vor den Folgen der seit Beginn der Corona-Pandemie weltweit gestiegenen Lebensmittelpreise, die vor allem Menschen in Ländern mit niedrigen Einkommen belasten und das Risiko von Hungersnöten erhöhen.
Auch durch den Krieg in der Ukraine drohen immer wieder Ausfälle bei der Lebensmittelversorgung. Das Land ist der fünftgrößte Exporteur von Weizen und ein führender Erzeuger von Sonnenblumenöl. Vor allem Länder im Mittleren Osten und im Norden und Osten Afrikas sind in hohem Maße von Einfuhren aus der Ukraine und aus Russland abhängig. In vielen Regionen sind Folgen der Klimakrise zu spüren, sie leiden unter Dürre. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist bereits gefährdet.
Greenpeace lässt Brot aus Energiepflanzen backen
Während sämtliche Landesumweltminister:innen Steffi Lemke beim vorgesehenen Agrosprit-Ausstieg zustimmen, erhält Wissing Unterstützung von der Biokraftstoffindustrie. Sie merkt an, kein hochwertiges Brotgetreide für Bioethanol zu nutzen. „Das stimmt nicht“, sagt Lambrecht. „Die Biospritindustrie nutzt riesige Mengen Getreide, die als Lebens- oder Futtermittel genutzt werden könnten.“ Entscheidend sei, dass dem Gesamtgetreidemarkt relevante Mengen an verzehrfähiger Ware entzogen würden.
Für Biodiesel und Bioethanol in deutschen Tanks wachsen insgesamt auf gut 1,2 Millionen Hektar Getreide und Ölpflanzen - das ist mehr als die Ackerfläche Nordrhein-Westfalens. Allein aus Ernten in Deutschland werden jährlich rund zwei Millionen Tonnen Getreide und eine Million Tonnen Pflanzenöl zu Biokraftstoffen verarbeitet. Damit ließen sich pro Jahr rechnerisch mehr als zwei Milliarden Brote backen und fast zwei Drittel des Jahresverbrauchs von Speiseöl in Deutschland erzeugen.
Dass sich aus Weizen, der für Futtertrog oder Tank angebaut wurde, nahrhaftes Brot herstellen lässt, hat Greenpeace im Oktober 2022 bewiesen. Insgesamt fünf Tonnen Futterweizen verwandelten Müller Hermann Gütler und Bäckermeister Heinrich Beck in leckeres Brot.
Die Lösung für den Verkehr ist elektrisch
Deutschland kann und muss Mobilität auf anderem Wege klimafreundlich gestalten – die Technik dafür, nämlich elektrische Antriebsformen, ist längst da. Doch noch immer rollen zu viele Autos mit Verbrennungsmotor über Deutschlands Straßen. Betrachtet man das dem Verklehr noch zustehende CO2-Budget, dürften ab 2025 keine neuen Diesel und Benziner mehr zugelassen werden – um die Klimaziele zu erreichen. Auch müsste es durch den Ausbau von Bus, Bahn und Radwegen sowie günstigen Tickets Anreize geben, auf ein eigenes Auto zu verzichten.
Auch jeder und jede Einzelne kann was tun, um den Verbrauch von Erdöl zu reduzieren: Wenn der Bus nicht fährt oder der Weg fürs Rad – insbesondere auf dem Land – zu weit ist, macht die Fahrweise einen Unterschied. Zwar gibt es in Deutschland nach wie vor kein Tempolimit – insbesondere Politiker:innen der FDP sprechen sich bislang dagegen aus – langsamer fahren kann natürlich jede:r dennoch.
(Der Artikel wurde am 25. Januar 2023 erstveröfffentlicht und anschließend aktualisiert.)