Ölunfall in der Nordsee jederzeit möglich
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Zwei Tage lang war der Greenpeace-Ölexperte und Meeresbiologe Christian Bussau im Jahr 2010 mit dem Flugzeug über der Nordsee unterwegs. Der Flug führte an der dänischen, norwegischen und britischen Küste entlang. Dabei kontrollierte Bussau 25 Förderanlagen. An fünf Anlagen dokumentierte er große schwimmende Ölteppiche. Die stärksten Verschmutzungen stellte Greenpeace bei den Plattformen Ninian Southern, Ninian Central, Tiffany (alle Canadian Natural Resources Limited), Dunlin (Fairfield Energy) und im Brent Feld (Shell) fest.
Schleichende Vergiftung des Ökosystems
Die Menge des eingeleiteten Öls in der Nordsee hat sich in den vergangenen rund 30 Jahren erheblich gesteigert. Nach Angaben der OSPAR (Oslo-Paris-Kommission zum Schutz des Nordostatlantiks) waren es 1984 rund 1.700 Tonnen Öl, 1994 rund 6.000 Tonnen und 2005 rund 13.000 Tonnen.
Die OSPAR veröffentlicht alle zwei Jahre Daten über Ölemissionen in ihrem Geltungsbereich. Die letzten Zahlen stammen aus dem Jahr 2010: Bei 467 registrierten Unfällen traten 137 Tonnen Öl aus. Weitere 9.023 Tonnen wurden beim alltäglichen Förderbetrieb ins Meer eingeleitet. Das entspricht etwa einem mittelschweren Tankerunglück. Die Plattformen fördern ein Gemisch aus Öl, Gas und Wasser. Das Wasser wird vom Öl getrennt und als sogenanntes Produktionswasser ins Meer geleitet. Es enthält Restmengen an Öl.
Folgen für das Leben im Meer
Schadstoffe aus dem Öl können in die Nahrungskette gelangen und sich beispielsweise in Würmern, Muscheln, Schlangensternen, Fischen, Seevögeln und Meeressäugern anreichern.
Schlangensterne sind von besonderer Bedeutung für das Ökosystem. Zum einen tragen sie erheblich zur Sauerstoffversorgung der obersten Sedimentschichten des Meeresbodens bei. Dadurch erleichtern sie es anderen Organismen, sich dort anzusiedeln. Zum anderen spielen sie eine wichtige Rolle in der Nahrungskette. Für Scholle, Kliesche und Seezunge sind sie die Hauptnahrung.
Normalerweise leben 80 bis 160 Schlangensterne auf einem Quadratmeter Meeresboden. Im Umkreis von ein bis zwei Kilometern der Ölplattformen fehlt das Tier fast völlig. Das konnte bereits 1995 in einer Studie nachgewiesen werden.
Rückstände von Öl und Chemikalien werden auch in Miesmuscheln gefunden - bis zu einem Kilometer von den Plattformen entfernt. Bei Schellfischen stellte die OSPAR Veränderungen im Erbgut fest, vermutlich durch die Aufnahme kontaminierter Sedimente.
Immer tiefer hinab
Die Öl- und Gasreserven in der relativ flachen Nordsee sind nahezu erschöpft. In der Folge dringen die Ölkonzerne in immer größere Tiefen und arktische Regionen vor. Mit steigender Wassertiefe erhöht sich das Risiko von Unfällen.
Besonders risikoreich arbeitet der Konzern BP. Westlich der Shetland-Inseln pumpt BP das Öl mit riesigen Förderschiffen, sogenannten FPSOs (Floating Production, Storage and Offloading), aus über 400 Metern Wassertiefe. Die Schiffe sind durch flexible Steigleitungen mit dem Bohrloch verbunden. Am Meeresboden wird eine vergleichbare Technik mit Bohrlochköpfen (wellheads) und Sicherheitsventilen wie an der explodierten BP-Plattform im Golf von Mexiko verwendet. Wie die Ölkatastrophe dort gezeigt hat, sind die Risiken der Offshore-Ölförderung unkalkulierbar. Greenpeace fordert daher, dass keine neuen Genehmigungen zur Förderung von Öl und Gas in der Tiefsee erteilt werden.
Falls es hier zu einem Unfall kommt, kann kein Mensch das Bohrloch erreichen, sagt Bussau. Taucher: innen können nur bis rund 200 Meter Tiefe arbeiten. Hier müsste wie im Golf von Mexiko mit Unterwasserrobotern operiert werden.
Explosionsgefahr vor Norwegens Küste
Mit einem Problem ähnlich dem von BP kämpfte im Mai 2010 der Ölkonzern Statoil vor der norwegischen Küste. Er bekam Druckprobleme an einem Bohrloch im Förderfeld Gullfaks nicht in den Griff. Eines von zwei Sicherheitssystemen hatte versagt. Als erhöhte Gaswerte im Bohrschlamm gemessen wurden, ließ Statoil die Mitarbeiter: innen der Plattform wegen Explosionsgefahr evakuieren.
Erst zwei Monate später bekam der Konzern die Lage in den Griff und dies nur mit viel Glück. Teile des Meeresbodens waren in das Bohrloch gekippt und halfen, das Leck abzudichten. Statoil gab später zu, die Situation zunächst unterschätzt zu haben.
(Stand: 17.02.2014)