Japan setzt weiter auf Atomkraft
- Hintergrund
Zwei Jahre lang war Japan atomkraftfrei. Fünf Jahre nach dem Gau in Fukushima fährt das Land einen Reaktor nach dem anderen wieder hoch – gegen den Widerstand der Bürger:innen.
Am Freitag, den 29. Januar 2016, fuhr der Betreiber Kepco den japanischen Atomreaktor Takahama 3 wieder an – das ist der dritte Meiler, den Japan nach fast zwei Jahren ohne Atomkraft erneut in Betrieb nimmt.
Zwei Jahre ohne Atomstrom
Im Juli 2011 hatte Japans Ministerpräsident Kan zunächst den Ausstieg aus der Kernkraft angekündigt. Denn die Atomkatastrophe am 11. März 2011 in Fukushima bedeutete einen schweren Einschnitt auch für das Land: Eine verheerende Kettenreaktion aus Erdbeben, Tsunami und nuklearer Katastrophe verwüstete ganze Regionen an der ostjapanischen Küste. Tausende verloren ihr Leben, ihre Familie, Zehntausende ihr Heim und ihre Lebensgrundlagen. Die Atomkraft, bis dahin von einem großen Teil der Bevölkerung akzeptiert, verlor seitdem zunehmend an Befürwortern – auch aufgrund kleinerer Erdbeben und der Gefahr durch Vulkanausbrüche. Greenpeace unterstützte die Bürger:innen in ihrem berechtigten Widerstand, damit sich ein Atomunfall wie in Fukushima nicht wiederholt und stattdessen die Energiewende vorangetrieben wird.
Der wachsende Protest hatte zunächst auch die Regierung erreicht. Bis zum Tag der Katastrophe wollte Japan den Anteil der Kernkraft an der Stromerzeugung von derzeit rund 30 Prozent auf über 50 Prozent erhöhen. Wenige Monate nach dem Unglück sprach Ministerpäsident Kan stattdessen über eine Verringerung des Anteils und leitete die überfällige Wende ein. Doch diese war nicht von langer Dauer.
Zunächst ging Japan einige mehr Schritte in die richtige Richtung. Im Januar 2012 waren nur noch drei von 55 Reaktoren aktiv, da die Meiler alle 13 Monate heruntergefahren werden müssen und ein neues Hochfahren nicht mehr genehmigt wurde. Ab Mai 2012 war das Land atomstromfrei, großflächige Stromausfälle blieben aus – der beste Beweis, dass auch eine große Industrienation ohne Atomkraft auskommt. Großflächige Stromausfälle blieben dennoch aus.
Zuerst hatte die Zahl der Anlagen für Erneuerbaren Strom in Japan seit Verabschiedung des Einspeisegesetzes im Juli 2012 rapide zugenommen. Einen Großteil der zusätzlichen Kraftwerksleistung lieferten kleine Photovoltaik-Anlagen. Warum sollte man also das Risiko eingehen und zur Atomenergie zurückkehren? Die großen Energieversorger verwehrten Anbietern erneuerbarer Energien mit staatlichem Einverständnis ausreichenden Zugang zum Stromnetz. Atomlobby und Regierung ließen sich nicht auf den Kurswechsel ein.
Atomlobby und Regierung kehren zur Atomkraft zurück
Der japanische Premierminister Shinzo Abe wollte bald zurück zur Atomkraft, um die Energiekosten zu senken. Die Genehmigung zum Wiederanfahren des AKW in Sendai der erste Schritt auf diesem Weg. Aber es fehlt der Rückhalt der Bevölkerung, denn die Mehrheit ist dagegen, die Meiler wieder hochzufahren. Über ein Jahr war keiner der 48 japanischen Reaktoren in Betrieb. Schon in Sendai dauerte es über 18 Monate, den Wiederbetrieb zu genehmigen, der Widerstand wurde immer größer. Lückenhafte, unzureichende Evakuierungspläne und Risikobewertungen in Sendai geben dieser Bewegung weiter Auftrieb. „Im Gegensatz zur Regierung hat die Bevölkerung die Lehren aus Fukushima verstanden“, so Kazue Suzuki, Atomkraftexpertin von Greenpeace Japan. „Sie weiß, dass ihre Gemeinden durch die Strahlung gefährdet und ihr Leben und ihre Existenz bedroht sind – auch wenn sie Kilometer von Sendai entfernt wohnen.“
Auch die Atomlobby ließ nicht locker. Obwohl noch 2014 ein japanisches Gericht das geplante Wiederanfahren zweier abgeschalteter Reaktoren für unzulässig erklärte, wurde schon 2015 das Atomkraftwerk in Sendai darf wieder in Betrieb genommen. Ein Gericht wies die Klage der Anwohnenden der Präfektur Kagoshima im Süden Japans zurück, die Anfang 2015 hatten sie mit Unterstützung von Greenpeace gegen den Neustart gekämpft hatten. Doch das Gericht entschied für das AKW. Und das, obwohl Greenpeace dem Gericht handfeste Beweise vorgelegt hatte. So ging etwa aus der technischen Analyse, die Greenpeace von einem britischen Ingenieur und Atomexperten erstellen ließ, hervor, dass die Sicherheitsstandards Sendais die Vorgaben der Internationalen Atomenergiebehörde nicht erfüllen. Die Anlage war weder adäquat gegen Vulkanausbrüche noch gegen Erdbeben gesichert. Dennoch durfte der AKW-Betreiber Kyushu Electric konnte die zwei Reaktoren nach dem Gerichtsentscheid wieder in Betrieb nehmen.
Im Januar 2016 fuhr Kepco auch den Atomreaktor Takahama 3 wieder an, nachdem entschied die Betreiberfirma einen Rechtsstreit für sich entschieden hatte. Und das, obwohl die Gegner alle Argumente auf ihrer Seite hatten: Versäumnisse beim Brandschutz und die Verwendung hochgefährlicher plutoniumhaltiger MOX-Brennstäbe machten Takahama zu einem besonders unsicheren Kraftwerk. Gerade die Mischoxid-Brennelemente (MOX) bereiten Umweltschützern und den Menschen in der Region Kopfzerbrechen: Die französische Herstellerfirma Areva hat eine unrühmliche Geschichte mangelhafter Qualitätskontrollen. Grundlegende Sicherheitsbedenken wurden beim Anfahren von Takahama schlicht ignoriert.
Proteste begleiteten das Wiederanfahren des Atomreaktors Takahama. Im März gleichen Jahres zog ein Gericht immerhin zwei von vier Risikomeilern mit sofortiger Wirkung aus dem Verkehr. Das Gericht in der Shiga-Präfektur befand zwei Reaktoren in Takahama als nicht sicher für den Betrieb. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes wurde eine einstweilige Verfügung gegen den Betrieb eines laufenden Atomkraftwerks ausgesprochen.
Dennoch wurden bis 2020 noch zwei weitere Atomreaktoren wieder angefahren. Nachdem die EU Anfang 2022 Investitionen in Atomkraft als nachhaltig eingestuft hatte, sprachen sich fünf ehemalige Premierminister und zahlreiche NGOs in Japan gegen Atomenergie aus. Doch bislang hat die Regierung nicht zur öffentlichen Meinung aufgeschlossen und hält trotz des Plans, dass Japan bis 2050 klimaneutral sein soll, weiter an an Atomkraft fest.