Warum sich öffentliche Kantinen umstellen müssen
- Hintergrund
Früher wollte, wer in der Mensa oder Kantine aß, vor allem satt werden. Doch immer stärker legen die Menschen wert darauf, dass das Essen auch gesund und lecker ist – und sie kein schlechtes Gewissen dabei haben müssen. Die Realität hinkt allerdings hinterher – vor allem beim Fleisch. Oft stammt es aus tierquälerischer Haltung, bei der einem der Appetit vergeht – und gesund ist das auch nicht. Selbst im BMEL, dem Bundeslandwirtschaftsministerium, das sich mit Ernährung ja eigentlich auskennen sollte, liegt der Bio-Anteil in den Kantinen nach eigenen Angaben gerade einmal “bei mindestens 10 Prozent”, obwohl es einst als Ziel mindestens 20 Prozent nannte.
Keine Sau hat den Überblick
Insgesamt herrscht bei dem Thema öffentliche Verpflegung große Unübersichtlichkeit, und das liegt nur zum Teil an Zuständigkeiten. Ein paar Beispiele aus dem Kantinendickicht: Der Bund betreibt rund 150 eigene Kantinen oder hat diese verpachtet und könnte zentrale Vorgaben machen. Doch derzeit gibt es nur vereinzelte, schwammige Aussagen wie jene des Landwirtschaftsministeriums. Für Grundschulen wiederum sind Städte und Kommunen inhaltlich zuständig - für weiterführende Schulen aber oft nicht. Bundesländer könnten hingegen Vorgaben machen. In der Praxis überlassen sie dies jedoch – außer in den Stadtstaaten – der sogenannten Schulfamilie aus Schulleitung, Hausmeister und Eltern. Das zentrale Argument: die Rahmenbedingungen seien zu unterschiedlich für verbindliche Vorgaben, weshalb die Länder oft nur Leitlinien veröffentlichen.
Der Wildwuchs wirkt, als ginge es um eine Handvoll kleiner Kantinen und Mensen. Doch die Arbeits- und Ausbildungsplatzverpflegung ist laut Bundesverband der Ernährungsindustrie mit 7,7 Mrd. Euro im Jahr (Stand 2018) längst ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Durch Trends wie die steigende Studierendenzahl sowie die Ausbreitung von Ganztagsschulen und Kitas werden sie immer wichtiger: Heute haben drei Millionen Kinder und Jugendliche in Ganztagsschulen Anspruch auf ein Mittagessen, nahezu doppelt so viel wie vor zehn Jahren.
Soforthilfe fürs Klima
Die Bundesregierung hat sich international zum Klimaschutz verpflichtet. Da der Bio-Landbau bezogen auf die Fläche klimafreundlicher ist, ist er Teil des Klimaschutzprogramms der Bundesregierung und soll bis 2030 auf 20 Prozent gesteigert werden. Damit das gelingt, muss die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln steigen. Immer mehr Bundesländer und Städte haben zudem eigene Klimaschutzpläne. Wieso schlägt sich all dies nicht angemessen dort nieder, wo die Umsetzung eigentlich so einfach ist: den öffentlichen Kantinen? Zumal die Umstellung der öffentlichen Verpflegung auf fleischreduzierte Biokost auch für Artenvielfalt, Wasser, Luft und Böden von Vorteil ist. Für die Tiere sowieso. Doch das meiste Fleisch in der Gemeinschaftsverpflegung kommt aus tierquälerischer, klimaschädlicher Massentierhaltung und wird zu Niedrigpreisen eingekauft. Die meisten Menschen lehnen Billigfleisch aus ethischen Gründen oder aus Gründen des Klima- und Umweltschutzes ab und sind für eine Tierwohlabgabe zur Verbesserung der Haltungsbedingungen - der Staat wird hier also weder den Konsumentinnen und Konsumenten noch seiner Vorbildfunktion gerecht.
Die Klimaziele erreichen wir nur, wenn wir die Ernährung mit einbeziehen. Kantinen müssen vor allem:
- Fleisch und Milchprodukte reduzieren, insbesondere Käse und Butter
- Saisonal und regional einkaufen
- Lebensmittelverschwendung vermeiden
- Bio-Lebensmittel verwenden
Bio ist die bessere Wahl
Schon der Blick auf diese Liste zeigt, dass es auch im Sinne der Arbeitskräfte, Studierenden, Kinder und Jugendlichen ist, die Kantinen auf eine klimafreundliche Ernährung umzustellen. Die angebotene Fleischmenge beispielsweise ist heute oft viel höher als es die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt. Und selbst da, wo sich die Kantinen an die Empfehlung halten, liegt ein Denkfehler vor: Menschen essen nicht nur in der Kantine, sondern auch zuhause. Deshalb müssten die angebotenen Fleischmengen eigentlich niedriger sein als die wöchentlich empfohlene Gesamtmenge.
Auch saisonaler und regionaler Einkauf ist gesundheitlich die bessere Wahl, weil Gemüse und Obst an Nährstoffen verliert, je länger der Transport ist. Bio wiederum enthält weniger Pestizide, deren Auswirkungen auf unsere Körper gerade in Kombination teilweise noch immer nicht erforscht ist.
Die Verantwortung der öffentlichen Verpflegung geht aber darüber hinaus. Denn Bio-Essen mit höherem pflanzlichen Anteil hat eine Signalwirkung, den eigenen Ernährungsstil zu hinterfragen. Eine Studie besagt beispielsweise, dass bei einem Angebot von zwei statt einem vegetarischen Gericht gerade auch begeistert Fleischessende vermehrt die tierfreie Variante ausprobieren.
Gleichzeitig haben Städte eine nicht zu unterschätzende Nachfragemacht. Kaufen sie in relevantem Ausmaß Bio-Essen ein, werden auch landwirtschaftliche Betriebe umstellen. Weil Städte in der Regel die Landwirtschaft in ihrer Region stärken wollen, wird ihre verstärkte Nachfrage nach Bio-Produkten auch das regionale Angebot im Allgemeinen verbessern.
Kostenneutrale Umstellung ist möglich
Wichtig für eine Umstellung sind Beschlüsse des Stadtrats. Sie sind verbindlich und die Verwaltung und Öffentlichkeit können sich darauf berufen. Heute fehlt es hier nicht mehr an Möglichkeiten zur Umsetzung, sondern nur noch an politischem Willen. Das Argument, es gebe Probleme bei der Anlieferung, zieht beispielsweise nicht mehr: Inzwischen liefern überall in Deutschland Großküchen-Spezialisten Öko-Produkte nach Wunsch. Nahezu alle großen Catering-Unternehmen arbeiten zudem an Öko-Konzepten, deren Umsetzung durch ein Umdenken der öffentlichen Hand viel wahrscheinlicher wird.
Die befürchteten Mehrkosten sind für viele Städte in der Tat einer der größten Hemmschuhe. Doch richtig gemacht, kann eine Umstellung auf Bio-Essen nach den Anfangsinvestitionen nahezu kostenneutral erfolgen. Ein Beispiel hierfür ist das Projekt “Bio für Kinder”, an Münchner Kitas und Schulen: Unternehmen erklärten sich bereit, für einen Zeitraum von zwei Jahren die etwaigen Mehrkosten zu übernehmen. Die Einrichtungen stellten auf 100 Prozent Bio-Essen um und senkten die Mehrkosten im Projektverlauf so weit, dass ein Bio-Mittagessen durchschnittlich nur noch 30 Cent mehr kostet als ein konventionelles Mittagessen. Das Projekt lief so erfolgreich, dass alle Einrichtungen nach Ende die Umstellung beibehielten. Ein weiteres Beispiel ist Kopenhagen: Die Stadt finanziert den Umbau von Küchen sowie Schulungen über die Stiftung House of Food. Nach zehn Jahren bieten die Einrichtungen nun kostenneutral 90% bis 100% Bio an - ein beeindruckendes Ergebnis, das Berlin sich nun zum Vorbild genommen hat.
Eine kostenverträgliche Umstellung kann klappen, wenn Kantinen:
- stärker auf Saisonalität achten
- weniger Fleisch in den Mahlzeiten verwenden
- die Lebensmittelabfälle reduzieren
- die Verwendung von Convenience Produkten zurückfahren
… und das Personal entsprechend schulen. Hilfe gibt es etwa beim Netzwerk der Bio-Städte, beim Bund der Ökologischen Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) und diversen anderen Stellen. Mehr dazu, wie außerdem jede und jeder Einzelne seinen Konsum anpassen kann, findet sich hier.